Wie Peter L. Berger Religion versteht

Text meiner Lizentiatsarbeit unter dem Titel Das Religionsverständnis nach Peter L. Berger, eingereicht im Oktober 1986 an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz) bei Professor Johannes Brantschen.

Einleitung

„American Religion” – was dieser Begriff denn bedeuten soll. So fragte mich der Bibliothekar, als ich das Buch „Against the world for the world” abholte, das Peter L. Berger 1976 zusammen mit Richard Neuhaus herausgegeben hat. Mit der amerikanischen Situation offensichtlich vertraut, stiess er sich am Untertitel des Buches: „The Hartford Appeal and the Future of American Religion”. Es gäbe, klärte er mich auf, in Amerika doch nicht nur eine Religion, sondern eine ganze Fülle von Religionen und Religionsgemeinschaften. Der Begriff „American Religion” sei viel zu allgemein. Was Berger denn darunter verstehe?

Sobald das Wort „Religion” das erstemal auftauche, sollte ich in einem Vorgriff, zum Beispiel in Form einer Anmerkung, diesen Ausdruck klären, meinte auch der Professor, nachdem er einen Teil meiner Arbeit begutachtet hatte. Ist mit dem Begriff „Religion”, notierte er als Fragen, „die christliche Religion gemeint? Wenn ja, warum?, denn die Religion übergreift das Christentum? Ist ein „Gott-Glaube” gemeint? Wenn ja, welcher; denn an „Gott glauben” besagt theologisch noch nichts. Ist es der Gott des Aristoteles? oder des Deismus? oder der Gott Jesu Christi?”

Kein Zweifel: Mindestens auf den ersten Blick scheint Bergers Religionsbegriff reichlich verschwommen zu sein. Aber nur auf den ersten Blick? Als ich Bergers Religionsverständnis auf das Format einer Anmerkung bringen wollte, musste ich feststellen, dass das so einfach nicht ging. Auch bei näherem Hinsehen erweist sich Bergers Religionsbegriff als etwas unbestimmt. Jedenfalls ist er sehr vielschichtig und aspektreich. Nicht nur das. Zum Teil lassen sich offensichtliche Widersprüche und Ungereimtheiten ausmachen in der Art, wie Berger Religion versteht. So steht Berger beispielsweise in seinen frühen Schriften der Religion ausgesprochen kritisch, ja sogar feindlich gegenüber. In „Kirche ohne Auftrag” etwa qualifiziert, oder besser gesagt, disqualifiziert er Religion als „die Grundlage einer lebenslangen Selbsttäuschung, eines Ausweichens vor der Wirklichkeit des Daseins“. Nachdem alles übrige gesagt und getan sei, werde Religion „die feierliche Bestätigung eines Daseins, das sich bemüht, mit einem Minimum an Wachheit auszukommen”.1BERGER: Kirche ohne Auftrag, am Beispiel Amerikas. (original: The Noise of Solemn Assemblies. Christian Commitment and the Religious Establishment in America.) 1961. – Im folgenden bezeichnet als „Kirche ohne Auftrag”. S. 18 Trotz dieser abschätzigen Bemerkung bleibt Berger jedoch dem Thema Religion treu und widmet ihm sogar mehrere Bücher und das erst noch mit spürbar positivem Engagement. Oder ein anderer Widerspruch: Berger unterscheidet in seinen ersten Büchern zwischen „Religion” und „christlichem Glauben”. Später gibt er diese Unterscheidung dann plötzlich auf und behauptet, er könne damit nichts anfangen.2Vgl. dazu: BERGER: Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft. Elemente einer soziologischen Theorie. (Original: The Sacred Canopy. Elements of a Sociological Theory of Religion.) 1967. – Im folgenden bezeichnet als „Dialektik”. S. 174 f Auf diesen Punkt werde ich unter 2.3.6. wieder zurückkommen. Und noch ein Beispiel: In „Kirche ohne Auftrag” wendet Berger sich dezidiert gegen den Glauben als „Erfahrung”.3Kirche ohne Auftrag, 132 f. Berger stellt hier den „Kult der Erfahrung” solider theologischer Reflexion gegenüber: “Wenn ein Mensch nicht mehr intellektuell mit den von seinem Glauben aufgegebenen Problemen ringt, dann tritt an die Stelle des Denkens das Fühlen”. In „Der Zwang zur Häresie” dagegen behauptet er gerade umgekehrt, Ausgangspunkt des Nachdenkens über Religion müsse heute die „religiöse Erfahrung” sein.4Vgl. dazu: BERGER: Der Zwang zur Häresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft. (Original: The Heretical Imperative. Contemporary Possibilities of Religious Affirmation. 1979. Im folgenden bezeichnet als “Häresie”. beso. S. 139 ff Schliesslich eine letzte Ungereimtheit: Auf der einen Seite betrachtet Berger Religion als eine „welterhaltende” Macht, welche die bestehenden Verhältnisse stabilisiere und verabsolutiere. Auf der anderen Seite ist für ihn die Religion eine „welterschütternde” Kraft, die alles Bestehende zutiefst relativiert.

Wie muss man diese Widersprüche erklären? Gibt es überhaupt eine Erklärung dafür? Oder haben diese Ungereimtheiten ihren Grund viel leicht darin, dass Bergers Religionsbegriff in sich widersprüchlich und mehrdeutig, ja sogar vage und diffus ist? In einem schon vor etlicher Zeit erschienenen Conciliums-Artikel über Bergers Konzept der Kirche als einer „kognitiven Minderheit” bemerkt Leo Laeyendecker zum Begriff „Wirklichkeitsdefinition”, den Berger häufig verwendet: „Der Begriff ‚Wirklichkeitsdefinition‘ ist reichlich vage (wie übrigens so manche Begriffe in Bergers Darlegungen) und ohne nähere Bestimmung nicht recht brauchbar”.5LAEYENDECKER, Leo: “Die Kirche als kognitive Minderheit? Randbemerkungen zu einer Qualifikation”. In: Concilium 7 (1971), S. 419 Könnte diese Feststellung nicht auch auf Bergers Religionsbegriff zutreffen? Ist auch Bergers Religionsverständnis vage und unbestimmt? Das ist die Frage, die ich in der vorliegenden Arbeit klären möchte.

Das PROBLEM meiner Arbeit lässt sich also so formulieren: Wie versteht Berger den Begriff „Religion”? Hat er ein präzises Religionsverständnis? Verwendet er den Ausdruck Religion einheitlich? Gibt es eventuell eine Entwicklung in seinem Religionsverständnis?

Um diese Frage zu beantworten – und damit komme ich auf das Prozedere, auf die METHODE meiner Arbeit zu sprechen – ist es nötig, zuerst darzustellen, wie Berger in seinen verschiedenen Schriften den Begriff „Religion” gebraucht. Das wiederum setzt voraus, dass wir wissen, wo er von Religion spricht. Ich habe versucht Bergers einschlägige Schriften, soweit sie mir zugänglich waren, zu sammeln. Ich verweise dazu auf das Literaturverzeichnis am Schluss dieser Arbeit. Allerdings wird es nicht möglich sein, alle dort aufgezählten Publikationen zu untersuchen – immerhin sind es über dreissig. Das ist, wie ich meine, auch gar nicht nötig. Denn schon eine grobe Sichtung des Materials zeigt, dass Berger immer wieder dieselben Gedankengänge anstellt und das, was er in seinen Artikeln schreibt, auch in seinen Büchern wieder sagt, in mehr oder weniger verarbeiteter Form. Das lässt es gerechtfertigt erscheinen, dass ich mich in meiner Untersuchung auf die Buchpublikationen beschränke. – An Buchtiteln zum Thema Religion tauchen im Literaturverzeichnis sieben auf. Bei zwei Büchern ist Berger dabei lediglich der Herausgeber, so bei „Against the World for the World” (1976) und bei „The Other Side of God” (1981). Auch diese Bücher werde ich kurz in meine Untersuchung mit einbeziehen, da sich möglicherweise auch in ihnen aufschlussreiche Hinweise auf Bergers Religionsverständnis finden. Der Schwerpunkt meiner Untersuchung jedoch konzentriert sich auf die fünf anderen Bücher. Es sind dies: „The Precarious Vision” (1961), „Kirche ohne Auftrag” (1961), „Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft” (1967), „Auf den Spuren der Engel” (1969) und „Der Zwang zur Häresie” (1979). Hier möchte ich Bergers Religionsverständnis in einiger Ausführlichkeit herausarbeiten. Das ermöglicht es mir, danach meine Fragen zu beantworten. Doch bevor ich damit beginne, sollte man etwas genauer wissen, wer Peter Berger überhaupt ist. Dieser Frage widme ich das erste Kapitel.

So ergibt sich für meine Arbeit folgender AUFBAU: Im ersten Kapitel stelle ich Peter Berger kurz vor und skizziere sein Verhältnis zur Religion. Im zweiten Kapitel durchforste ich Buch um Buch im Hinblick auf das Religionsverständnis, das sich darin zeigt. Im dritten Kapitel schliesslich ziehe ich das Fazit, das heisst, ich versuche die Fragen, die ich mir für diese Arbeit gestellt habe, auf der Grundlage der vorausgehenden Untersuchung zu beantworten.

Zum Schluss noch einige technische Hinweise: Das Literaturverzeichnis folgt, was Bergers Schriften betrifft, der Chronologie der Originalveröffentlichungen. Zu beachten ist, dass diese Chronologie nicht in allen Fällen mit jener der deutschen Erstveröffentlichungen übereinstimmt. Die erste Buchzitation erfolgt ausführlich. Danach verwende ich Kürzel.
Soweit deutsche Übersetzungen der Schriften Bergers vorliegen, halte ich mich an diese. Wo das nicht der Fall ist, zum Beispiel beim ersten Buch „The Precarious Vision”, zitiere ich englisch.

1. Peter Berger und das Thema Religion

Wer ist Peter Berger? In diesem Kapitel möchte ich ihn kurz vorstellen. Ich gebe zuerst einige Lebensdaten und beleuchte dann in den folgenden zwei Abschnitten zuerst Bergers Verständnis der Soziologie und danach sein Verhältnis zur Politik. Den politischen Aspekt wähle ich aus, weil Berger hier eine Position vertritt, die nicht überall auf Wohlgefallen stösst. Ich möchte zeigen, wie Berger diese seine – konservative – Position versteht und begründet. Im dritten Abschnitt schlage ich in einem Vorgriff zu Faden, welche Stellung und Bedeutung das Thema Religion bei Berger einnimmt.

1.1. Einige Lebensdaten

Berger ist heute einer der bekanntesten Soziologen Amerikas. Er wurde 1929 in Wien als Sohn eines Geschäftsmannes geboren und kam nach Abschluss seiner Schulbildung in England 1946 in die Vereinigten Staaten.6Ich stütze mich auf folgende Quellen: CULTURAL ANALYSIS. 1984. S. 8-11. – ZULEHNER, P.M.: Artikel über Berger. In: Weger (Hg): Religionskritik von der Aufklärung bis zur Gegenwart. 1979. S. 40 f. – Ferner auf die Angaben, die ich in Bergers Büchern fand, z.B. in Dialektik S. 194 Dort besuchte er das Wagner Memorial Lutheran College in Staten Island. Im Hauptfach studierte er Philosophie. 1949 wechselte er an die New School for Social Research in New York und wandte sich der Soziologie zu. Mit einer religionssoziologischen Dissertation über die Bahai-Bewegung promovierte er 1954. Zu seinen einflussreichsten Lehrern der Soziologie gehörte der Phänomenologe Alfred SCHUETZ. Einer seiner Mitschüler war Thomas LUCKMANN, mit dem zusammen Berger später einige wichtige Schriften verfasste, so zum Beispiel auch sein wohl bedeutendstes Buch „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit” (1966). Berger war an verschiedenen Orten Lehrer, unter anderem an den Universitäten von Giorgia und Nordcarolina. Von 1958 bis 1963 dozierte er am Hartford Seminar Sozialethik. Danach kehrte er wieder an die New School zurück. 1970 übernahm er einen Lehrstuhl für Soziologie an der Rutgers University in New Brunswick (New Jersey). Seit 1979 ist Berger Professor der Soziologie an der Universität Boston.

1.2. Berger und die Soziologie

Wie versteht Berger Soziologie? Er selbst hat sich mit dieser Frage eingehend auseinandergesetzt. Zwei seiner Bücher sind speziell diesem Thema gewidmet: „Einladung zur Soziologie. Eine humanistische Perspektive” (1963) und „Für eine neue Soziologie. Ein Essay über Methode und Profession” (1981), das Berger zusammen mit Hansfried KELLNER geschrieben hat. Eine weitere Einführung in die Soziologie, „WIr und die Gesellschaft”, in Zusammenarbeit mit seiner Frau Brigitte BERGER verfasst, hat er 1972 herausgebracht. Darin behandelt er aber die Disziplin Soziologie mehr allgemein und erwähnt sein Soziologieverständnis nur nebenbei.

Berger versteht die Soziologie als eine „humanistische” Disziplin und hat damit zunächst einmal ihren Standort innerhalb der Wissenschaften im Auge. Seiner Ansicht nach gehört die Soziologie zu den Geisteswissenschaften.7Vgl. dazu: BERGER: Einladung zur Soziologie. Eine humanistische Perspektive. (Original: Invitation to sociology: A Humanistic Perspektive. ) 1963. – Im folgenden bezeichnet als „Einladung“. S. 178-190. – BERGER-BERGER: Wir und die Gesellschaft. Eine Einführung in die Soziologie – entwickelt an der Alltagserfahrung. (Original: Sociology – A Biographical Approach.) 1972. – Im folgenden bezeichnet als „Wir und die Gesellschaft“ S . 8 Er zielt mit diesem Ausdruck aber auch auf eine ethische Dimension, die der Soziologie anhaftet. Das soziologische Denken wirkt sich „humanisierend” aus, insofern es dem Menschen zum Bewusstsein verhilft, dass die Welt, in der er lebt, sein eigenes Produkt ist und nicht irgendein unabänderliches Naturfaktum. Soziologisches Denken kann dadurch von den Zwängen einer als unerbittliche Notwendigkeit erfahrenen Welt befreien und den Sinn für die eigenen Möglichkeiten öffnen. „Sinn für die eigenen Möglichkeiten haben” ist nach Berger eine Definition für Freiheit. Und zu Freiheit hat die Soziologie als die „Wissenschaft des Möglichen” eine besondere Affinität.8Wir und die Gesellschaft, 265 f Daher kann man sie eine „humanistische” Disziplin nennen.

Nach Berger ist Gesellschaft ein menschliches Konstrukt, das der Mensch in intersubjektiven Prozessen schafft und aufrechterhälte.9Am ausführlichsten entfaltet findet sich diese Sicht der Gesellschaft in: BERGER-LUCKMANN: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. (Original: The Social Construction of Reality. A Treatise in the Sociology of Knowledge. ) 1966. – Im folgenden bezeichnet als „Konstruktion“. Der „Stoff”, aus dem es besteht ist menschlicher „Sinn”, der vorhanden ist als „Wissen”, grösstenteils als vortheoretisches „Wissen“, als „Jedermanns- oder Allerweltswissen”. Dieses Gesellschaftsverständnis bestimmt dann die Methode, wie man sich dem Phänomen Gesellschaft soziologisch nähern muss. Es wäre zum Beispiel verfehlt, wollte man Gesellschaft ebenso erforschen wie die Natur, durch Zählen und Messen. Berger grenzt sich gegen jene positivistischen Formen der Soziologie ab, die ihr Ideal darin sehen, ihre Methode den Naturwissenschaften anzugleichen. Nicht dass er gegen quantifizierende Verfahren an sich etwas hätte; bei bestimmten Fragestellungen seien sie durchaus am Platz. Fragwürdig ist nach Berger „nicht die Quantifizierung als solche, sondern nur der Kult der Quantifizierung bis zum Ausschluss aller anderen Methoden und Vorgehensweisen”.10BERGER-KELLNER: Für eine neue Soziologie. Ein Essay über Methode und Profession. (Original: Sociology Reinterpreted; An Essay on Method and Vocation. ) 1981. – Im folgenden bezeichnet als „Neue Soziologie”. S. 115 Der grundlegende Fehler jeder Form des Positivismus in den Sozialwissenschaften besteht letzten Endes aber darin, dass er mit seinen Methoden dem Wesen der Gesellschaft nicht gerecht werden kann. Positivistische Verfahren vermögen nicht „den besonderen Charakter der menschlichen Realität zu beschreiben und zu erklären, sich verstehend zu eigen zu machen”.11Neue Soziologie, 116 Wer Gesellschaft adäquat erfassen will, muss deren Sinn erfassen, sich die gesellschaftliche Realität „verstehend” aneignen. Im Mittelpunkt der soziologischen Methode muss daher der „Akt der Interpretation” stehen, den Berger in „Für eine neue Soziologie” eingehend erörtert.12ebd., Kapitel 2, S. 22-54 Mit seinem Soziologieverständnis reiht Berger sich ein in die deutsche Tradition der „verstehenden Soziologie” mit Max Weber als einem ihrer wichtigsten geistigen Väter.13Man könnte Berger auch noch anders klassifizieren. Vgl. dazu: CULTURAL ANALYSIS, S. 29: „Those who have attempted to locate his work within a broader intellectual tradition have characterized it as ‚Weberian‘ ‚neo-Weberian’ ‚phenomenological‘, – or even ‚German humanistic‘“. Ganz eindeutig lässt Berger sich allerdings nirgends einordnen. So hat man sein Werk auch schon schlicht als “Bergerisch” bezeichnet. Vgl. dazu: ebd.

Max WEBER ist für Berger eine der Hauptquellen der soziologischen Inspiration. Von ihm übernimmt er das grundlegende Verständnis der Soziologie, ihrer Methoden und Berufung. Auch in seiner Analyse des Wesens der modernen Welt, des Rationalisierungs- und Modernisierungsprozesses und in vielem anderen ist Berger stark beeinflusst von Weber. Neben Weber gehören zu seinen geistigen Ahnen – um nur einige der wichtigsten aufzuzählen – die Soziologen Emile DURKHEIM und Georg SIMMEL, die Philosophen und Anthropologen Arnold GEHLEN, Helmut PLESSNER und Adolf PORTMANN, der Sozialpsychologe George Herbert MEAD und – besonders in seinen frühen Schriften – die Existentialisten Martin HEIDEGGER, Jean-Paul SARTRE und Albert CAMUS. Lehrer Alfred SCHUETZ war ihm Führer in der Analyse des Alltagswissens und der menschlichen Lebenswelt. Einen wichtigen Einfluss auf Bergers Verständnis von Individuum und Gesellschaft hatte schliesslich auch Karl MARX. Dem Marxismus erkennt Berger „ganz erhebliche Leistungen” für die Soziologie zu. Er verweist dabei auf die vom Marxismus hergestellte „Verbindung von sozialwissenschaftlicher Theorie, Geschichte und philosophischer Anthropologie”, auf „die Beschäftigung mit der Beziehung zwischen ökonomischen Kräften, Klasse und Macht – und wahrscheinlich das, was man die Entdeckung der Klasse als einer primären soziohistorischen Realität bezeichnen kann”, ferner auf „die Theorie der Klasseninteressen und das Überbau-Unterbau-Modell, das sozusagen die Grundlagen für jede Wissenssoziologie (selbst jener Ableger, die sich später vom Marxismus entfernten) legte” und schliesslich auf „die Ausarbeitung eines soziologischen Ansatzes der Geschichtsforschung”.14Neue Soziologie, 126 All das sind wichtige Errungenschaften für die Sozialwissenschaften. Trotzdem kann Berger sich keiner marxistisch orientierten Soziologie anschliessen, weil er sich mit dem von den meisten marxistischen Soziologen vertretenen Konzept der Beziehung von Theorie und Praxis nicht einverstanden erklären kann. Seiner Ansicht nach besitzt dieses Konzept einen „zutiefst ideologischen Charakter”, der mit der Wissenschaft, wie er sie verstehe, nicht in Einklang zu bringen sei.15ebd., 125 Im Marxismus herrsche „aufgrund der tief in ihm wurzelnden Verbindung zwischen utopischen und wissenschaftlichen Relevanzen ein ideologischer Geist, der die soziologische ‚Sichtweise‘ ständig” durchkreuze und den Soziologen „gegenüber entscheidenden Elementen der sozialen Wirklichkeit häufig blind” mache.16ebd., 127 In den schwerwiegendsten Fällen führe diese ideologische Haltung dann „zu in sich geschlossenen, dogmatischen Gedankensystemen, die eine unmittelbare Antithese zur Wissenschaft” darstellten: „In diesen Fällen wird ‚Soziologie‘ zu einer Ableitung in der Ideologie vorgegebenen Apriori-Prinzipien, zu einer Auffaltung einer bereits bekannten ‚Wahrheit‘. Man ‚weiss‘ von Anfang an, was man finden wird, und so ist es keine Überraschung, dass es einem gelingt, es zu finden”.17ebd., 129

Eine derartige Haltung ist mit Bergers Wissenschaftsauffassung unvereinbar. Bergers Ideal ist es, dass der Wissenschaftler, auch der Soziologe, seine Überzeugungen, Werthaltungen, politischen Einstellungen, Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen aus dem Spiel lässt, sofern er sich als Wissenschaftler betätigt. Berger vertritt mit anderen Worten das Konzept wissenschaftlicher „Wertfreiheit“ im Sinne von Max Weber. Dieses Konzept unterscheiden strikt zwischen dem, was ist und dem was sein soll. Es ist „eine bestimmte Askese des Geistes, ein asketisches Ideal, das häufig schwer zu erreichen ist…“. Vor allem ist es „eine Leidenschaft zu sehen, klar zu sehen, ungeachtet der eigenen Neigungen und Abneigungen, Hoffnungen und Ängste“. Es impliziert „eine systematische Offenheit und Aufgeschlossenheit für die Wertvorstellungen anderer … auch wenn diese Wertvorstellungen einem selbst ganz zuwider sind …“18ebd., 51]

Die Soziologie, genauer die Wissenssoziologie, hat sich mit allem zu befassen, was unter Menschen als „Wirklichkeit“ und „Wissen“ gilt, unbesehen davon, ob dieses „Wissen“, an philosophischen Massstäben gemessen, wahr oder falsch ist oder ob es mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmt. Der Wissenssoziologe betrachtet „Wirklichkeit“ und „Wissen“ als neutrale Kategorien. Er will ihren Sinn lediglich verstehen, ihn nicht philosophisch hinterfragen. Im Rahmen ihrer eigenen Voraussetzungen kann die Soziologie Sinn auch gar nicht auf ihren Wahrheitsgehalt untersuchen. Die Soziologie ist keine normative Wissenschaft, der es obläge, Sinn zu begründen oder gar herzustellen. Die Soziologie ist mit anderen Worten nicht in der Lage, das zu stiften, „was Max Scheler als ‚Heilswissen‘ bezeichnet hat – das heisst Wissen, das nicht nur intellektuelles Verstehen, sondern auch existentielle Hoffnung und moralische Anleitung bereithält“18ebd., 129] . Auch wenn das enttäuschend klinge, so nötige einem doch, meint Berger, intellektuelle Redlichkeit, „darauf zu beharren, dass Soziologie keine Theodizeen liefern kann, dass Soziologie agnostische bleiben muss, wenn es um die letzten Fragen nach der individuellen und kollektiven menschlichen Existenz geht“19ebd., 129

1.3. Berger und die Politik

Bis in die späten sechziger Jahre zeigte sich Berger nicht sehr interessiert an politischen Fragen. Im Sommer 1969 folgte er einer Einladung Ivan Illichs nach Mexico City. Hier begann er dann die Zusammenhänge zwischen seiner Sicht von Kultur und Gesellschaft und Problemen der Modernisierung, der Entwicklung in der Dritten Welt sowie anderer politischer Fragen zu erforschen20Vgl. dazu: CULTURAL ANALYSIS, 10 Das Ergebnis dieser neuen Interessen fand seinen Niederschlag in „Das Unbehagen in der Modernität“ (1973), ein Buch, das er zusammen mit seiner Frau Brigitte Berger und Hansfried Kellner geschrieben hat – und in dem Buch „Welt der Reichen – Welt der Armen“ (1974).

Was seine persönliche politische Einstellung angeht, bezeichnet Berger sich als „konservativ“ – besser gesagt, er rechnet sich einer Haltung zu, die er als „konservativen Humanismus“ charakterisiert. Wie und warum er zu dieser Haltung kommt, expliziert er in „Protestbewegung und Revolution oder die Verantwortung der Radikalen“ (1970). Berger unterscheidet in diesem Buch zwischen zwei Typen von Konservativen: den „Konservativen aus Glauben“ und den „Konservativen aus Unglauben“21BERGER-NEUHAUS: Protestbewegung und Revolution oder Die Verantwortung der Radikalen. Radikalismus in Amerika. (Original: Movement and Revolution. On American Radicalisme.) 1970. – Im folgenden bezeichnet als „Protestbewegung“. S. 23 Die Konservativen aus Glauben sind „Veränderungen abgeneigt, weil sie die institutionellen Verhältnisse des Status quo an sich für gut, natürlich oder gar geheiligt halten. Demgemäss erscheint ihnen jede Änderung dieser Verhältnisse als böse, abwegig oder gar gotteslästerlich“2223 ebd. Konservative aus Unglauben dagegen „haben ein Vorurteil gegen Veränderungen nicht deshalb, weil sie von den Vorzügen des Status quo zutiefst überzeuge wären, sondern weil sie tiefes Misstrauen gegen alles empfinden, was als Alternative zum Status quo empfohlen wird“23ebd. Ihr Konservativismus entspringt einem Hang zu „Pessimismus und Skepsis“.

Berger rechnet sich der zweiten Gruppe zu und begründet seine Einstellung unter anderem mit der Tatsache, dass er Soziologe ist. Das soziologische Denken birgt nach Berger ein desillusionierendes Element in sich, das gegenüber übertriebenen Erwartungen an die Gesellschaft Zurückhaltung empfiehlt. „Es gibt in der perspektivischen Soziologie ein sehr entlarvendes, ernüchterndes Element“, schreibt Berger in „Protestbewegung und Revolution“ und fährt fort: „Daher ist es mir unmöglich, gesellschaftliche Institutionen ebenso zu betrachten wie Konservative der ersten Gruppe. Ebendiese soziologische Betrachtungsweise erzeugt aber Skepsis hinsichtlich bewusster Bemühungen, die Gesellschaft zu verändern“24ebd.] . Gesellschaftliche Institutionen unterlägen zwar notwendigerweise dem Wandel, meint Berger, aber die Richtung solchen Wandels sei „schwierig vorauszusagen und noch schwieriger zu kontrollieren“24ebd., 23 f Mit Max Weber erinnert er an „die unbeabsichtigten Folgen gesellschaftlichen Handelns“, bzw. an „die Ironie der Geschichte“25ebd., 23 Soziologisches Denken kann sich sogar lähmend auf revolutionäre Ideologien auswirken, „nicht etwa“, wie Berger in „Einladung zur Soziologie“ bemerkt, „weil es so etwas wie ein konservatives Vorurteil enthielte, sondern weil es nicht nur Illusionen über den Status quo, sondern auch über zukünftige Möglichkeiten durchschaut, von denen die Revolutionäre leben“26Einladung, 57 Soziologisches Verstehen führe „zu einer nicht unbeträchtlichen Ernüchterung“27ebd., 176] – und den „Wert der allem Revolutionären abholden, mässigenden Nüchternheit der Soziologie“ setzt Berger ziemlich hoch an27ebd., 57

„Mitgefühl“ ist für Berger am Ende das einzig überzeugende Motiv politischen Handelns. In diesem Sinn beendet Berger sein Buch „Welt der Reichen – Welt der Armen“, in dem es um die Problematik der Dritten Welt geht, mit folgenden Sätzen: „Alle erklären uns selbstsicher, wie es heute steht und wie es, wenn man sie nur machen lässt, morgen sein wird. Doch in Wirklichkeit wissen sie so sehr wenig, diese zuversichtlichen Propheten des Gerichts und der Erlösung. Es tut not, die gelassene Kunst des Zweifelns zu erlernen. Es tut not, gelassen und zweifelnd und aus dem Mitgefühl heraus zu handeln, dass das Mitleiden das einzig glaubwürdige Motiv für jede Aktion zur Veränderung der Welt ist“28BERGER: Welt der Reichen – Welt der Armen. Politische Ethik und sozialer Wandel. (Original: Pyramids of Sacrifice. Political Ethics and Social Change.) 1974. – Im folgenden bezeichnet als „Welt der Armen“. S. 300 Man gewinnt bei Berger den Eindruck, er beschäftige sich eher nolens volens mit dem Thema Politik. Jedenfalls ist Politik für ihn nicht das eins und alles. In „Protestbewegung und Revolution“ bezeichnet er die Behauptung, „dass Politik immerdar und überall jedermann angehe“ als ein „umfassenden(s) Versagen der Phantasie“ und erinnert daran, „dass das menschliche Leben viel reichere Möglichkeiten der Erfüllung bietet als nur in seiner politischen Darstellung“29Protestbewegung, 18 „Kontemplation“ zum Beispiel ist nach Berger eine ebenso berechtigte Art der Lebensführung wie das Dasein für die Politik30ebd., 19

Das bringt uns zur Frage, was Berger mit dem Thema Religion verbindet.

1.4. Berger und die Religion

Das Thema Religion hat bei Berger immer eine prominente Rolle gespielt. Ein Blick, auf das Literaturverzeichnis zeigt, dass Berger sich in seinen frühen Publikationen fast ausschliesslich mit Religion beschäftigt hat. Berger ist von Haus aus eigentlich Religionssoziologe und diese seine Spezialität wird auch dort spürbar, wo er sich nicht unmittelbar mit dem Thema Religion abgibt. „Meine eigene Vorbelastung“, schreibt er in „Einladung zur Soziologie“, „ist die Religionsoziologie. Beispiele und Bilder, die mir am ehesten einfallen, werden das sicher verraten“31Einladung, 8 Folgendes Beispiel findet sich etwa in „Einladung zur Soziologie“: „Es gibt“, führt Berger aus, „einen Zusammenhang zwischen dem Glauben eines Menschen – bis hin zum Dogma von der unbefleckten Empfängnis, und sei es nur als Lippenbekenntnis – und seinem Jahreseinkommen. Unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze verliert die Religion offenbar an Plausibilität, während sie darüber eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint“32ebd., 12 8 Mit diesem Beispiel will Berger die Beziehung von Wertvorstellungen,Überzeugungen etc. und ihrem jeweiligen sozialen Standort illustrieren – oder mit anderen Worten, er will das Problem veranschaulichen, um das es in der Wissenssoziologie geht.

Die Wissenssoziologie ist Bergers soziologische Domäne. Sein Buch „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“, das er zusammen mit Thomas Luckmann verfasst hat, ist, wie es der Untertitel sagt: „Eine Theorie der Wissenssoziologie“. Wesen und Aufgabe der Wissenssoziologie werden darin neu formuliert. Beschäftigte sich die herkömmliche Wissenssoziologie hauptsächlich mit der gesellschaftlichen Lokalisierung von Ideen und Theorien, so richten Berger und Luckmann ihr Interesse vornehmlich auf das Allerwelts- und Jedermannswissen: „Allerweltswissen, nicht ‚Ideen‘ gebührt das Hauptinteresse der Wissenssoziologie, denn dieses ‚Wissen‘ eben bildet die Bedeutungs- und Sinnstruktur, ohne die es keine menschliche Gesellschaft gäbe“33Konstruktion, 16 Wie Berger und Luckmann zu dieser Auffassung kommen, braucht uns jetzt nicht zu interessieren. Von Interesse dagegen ist, dass Berger zur Wissenssoziologie über die Religionssoziologie gekommen ist34Vgl. dazu: ZULEHNER, aaO.

Und mit dem theoretischen Instrumentarium der Wissenssoziologie nähert sich Berger auch dem Problem der Religion. Im Brennpunkt seines religionssoziologischen Interesses steht dabei die Situation der Religion in der modernen Welt. Zu dieser Frage hat Berger einige wichtige Beiträge geliefert. Ausgangspunkt seiner Analyse der religiösen Situation heute ist dabei die Feststellung, dass die Religion in der modernen Gesellschaft nicht mehr den Stellenwert einnimmt, den sie früher hatte. Die Religion ist in eine Krise geraten, die sich unter anderem darin äussert, „dass mindestens in Europa und den Vereinigten Staaten heutzutage eine ständig wachsende Zahl von Menschen lebt, die sich die Welt und ihr eigenes Dasein auch ohne religiösen Segen erklären können“35Dialektik, 104 Religion ist im Begriff aus dem Bewusstsein des modernen Menschen zu verschwinden und ist weitgehen schon verschwunden. Jedenfalls nimmt sie nicht mehr denselben Platz ein wie ehedem. Wie ist dieses Phänomen zu erklären?

Nach Berger gibt es nun tatsächlich Erklärungen dafür. Die Ausdunstung des Religiösen ist nicht „irgendwelchen geheimnisvollen Metamorphosen des Bewusstseins an und für sich anzulasten“. Sie beruht „vielmehr auf konkreten, der Empirie zugänglichen gesellschaftlichen Entwicklungen“36Dialektik, 143 Und um diese Entwicklungen zu verstehen, erweist sich nun der theoretische Bezugsrahmen der Wissenssoziologie als sehr hilfreich. Wie lauten ihre Erklärungen? Skizzieren wir sie hier nur ganz kurz:

Die Wissenssoziologie geht davon aus, dass Bewusstsein immer eine soziostrukturelle Grundlage hat. Das heisst, Bewusstsein und seine Inhalte entstehen und bestehen nie in einem gesellschaftlichen Vakuum, sondern werden von ganz bestimmten Menschen in ganz bestimmten soziohistorischen Kontexten hervorgebracht und getragen. Der Wissenssoziologie obliegt es, die Beziehung von Bewusstsein und seinen jeweiligen gesellschaftlichen Grundlagen zu erforschen. Sogar dort, wo es um höchst abstrakte und scheinbar von der Gesellschaft gänzlich losgelöste Ideen und Theorien geht, zieht sie dabei „die Linie vom Denken zum Denker und vom Denker zu seiner gesellschaftlichen Welt“37Einladung, 123

Wissen wird nicht nur gesellschaftlich produziert, es wird auch gesellschaftlich aufrechterhalten. Damit bestimmte Wissensbestände – Ideen, Theorien, Weltanschauungen, Alltagswissen – für das Bewusstsein wirklich sind und bleiben, müssen sie gesellschaftlich abgestützt werden. Wissen ist mit anderen Worten auf eine soziale, oder besser gesagt, eine sozialpsychologische Basis angewiesen. Es setzt eine „Plausibilitätsstruktur“ voraus. Sofern diese „Plausibilitätsstruktur“ entsprechend konsistent und homogen ist, kann sich das von ihr abgestützte Wissen im Bewusstsein als nicht in Frage gestellte und zu stellende Gewissheit festsetzen. Diese wissenssoziologische Gesetzmässigkeit gilt auch für religiöses Wissen. Auch Glaubensüberzeugungen bedürfen einer sozialen Basis, damit sie für den Gläubigen „wirklich“ bleiben. Ist die Plausibilitätsstruktur dabei dicht genug, so kann der Glaube sich dem Bewusstsein darstellen als unhinterfragte Selbstverständlichkeit, sozusagen als ein Faktum der Natur. Berger bringt dafür in „Auf den Spuren der Engel“ ein Beispiel. Wenn alle plausibilitätserzeugenden Mechanismen des katholischen Glaubens, schreibt er dort, richtig funktionierten, sei dem Katholiken „sein Katholizismus so ‚natürlich‘ wie seine Haarfarbe oder sein ‚Glaube‘ an die Gravitationsgesetze“38BERGER: Auf den Spuren der Engel. Die moderne Gesellschaft und die Wiederentdeckung der Transzendenz. (Original: A Rumor of Angels ; Modern Society and the Rediscovery of the Supernatural.) 1969. – Im folgenden bezeichnet als „Engel“. S. 60

Jede Religion braucht eine Religionsgemeinschaft, damit sie plausibel und für ihre Anhänger „wirklich“ bleiben kann. Dabei ist die Gestalt dieser plausibilitätserhaltenden Gemeinschaft historisch variabel. Diese Tatsache muss man vor Augen halten, wenn man die Situation der Religion heute begreifen will. Im Gegensatz zu vergangenen Epochen besitzt die Religion in der modernen Gesellschaft nurmehr eine schwache Plausibilitätsstruktur. Früher bildete sozusagen die gesamte Gesellschaft die stützende Basis einer bestimmten Religionstradition. In den herkömmlichen Gesellschaften besass eine bestimmte religiöse Tradition jeweils das Monopol. Und das bedeutete, dass sämtliche gesellschaftlichen Prozesse die Wirklichkeit der betreffenden Religionstradition bestätigten und bekräftigten. Entsprechend stark waren die religiösen Inhalte im Bewusstsein der „Gläubigen“ verankert. Dieser Zustand hat sich mittlerweile grundlegend verändert, und zwar im Verlauf einer Entwicklung, die Berger mit Max Weber als „Modernisierung“ der Welt charakterisiert und analysiert39Am ausführlichsten hat Berger seine Theorie der Modernisieruny dargelegt in: BERGER-BERGER-KELLNER: Das Unbehagen in der Modernität. (Original: The Homeless Mind. Modernization and Consciousness.) 1973. – Im folgenden bezeichnet als “Modernität”. Auslöser und Grundlage für diese „Modernisierung“ der Welt war die neuzeitliche „Rationalität“. Diese äusserte sich darin, dass sich immer mehr Lebensbereiche nach „zweckrationalen“ Normen zu organisieren begannen, d.h. nach Normen, die sich nicht mehr aus einem übergeordneten Sinnzusammenhang herleiteten, sondern schlicht auf das immanente Funktionieren eines bestimmten Lebensbereiches ausgerichtet waren. So gliederten sich immer mehr Bereiche aus dem einstmals gesellschaftsintegrierenden Sinnzusammenhang der Religion aus und machten sich selbständig. Die Gesellschaft teilte sich auf in eine Vielzahl von Einzelbereichen, die unverbunden nebeneinander her existieren. Berger bezeichnet diese gesellschaftliche Segmentierung als „Pluralisierung“ der Gesellschaft. Er sieht sie in einem engen Zusammenhang zu dem, was er mit dem Begriff der „Säkularisierung“ der Gesellschaft kennzeichnet. Unter „Säkularisierung“ versteht Berger „einen Prozess, durch den Teile der Gesellschaft und Ausschnitte der Kultur aus der Herrschaft religiöser Institutionen und Symbole entlassen werden“40Dialektik, 103 Säkularisierung ist ein Vorgang, der sich auf der Ebene der Sozialstruktur und der Kultur abspielt. Säkularisierung hat aber auch eine subjektive Seite. Sie zeigt sich darin, dass die herkömmlichen religiösen Vorstellungen und Wirklichkeitsdefinitionen nach und nach im Bewusstsein der heutigen Menschen verblassen. Dieses Verblassen religiöser Wirklichkeit ist nicht verwunderlich. Denn was Berger als „Pluralisierung“ und „Säkularisierung“ der Gesellschaft bezeichnet, kommt einem massiven Zerfall der herkömmlichen Plausibilitätsstrukturen religiöser Wirklichkeit gleich. Für den Menschen in der modernen Gesellschaft ist die Wirklichkeit der Religion in den grossen und wichtigen Lebensbereichen wie Arbeitswelt, Politik, Wissenschaft etc. nicht mehr erfahrbar. Die traditionellen, institutionellen religiösen Normen und Wertvorstellungen verwirklichen sich nicht mehr in Bewusstseinsprägung und Daseinsführung: „Der Zusammenhang der religiösen Normen ist. zwar institutionell vorgeformt, bestätigt sich aber weder in den sukzessiven, von internen zweckrationalen Institutionsnormen bestimmten Lagen,noch in zusammenhängenden Erfahrungen in der Gesamtgesellschaft“41LUCKMANN: Das Problem der Religion in der modernen Gesellschaft. Institution, Person und Weltanschauung. 1963. S. 61 – Berger ist in dieser Analyse einer Meinung mit Luckmann. Vgl. etwa: Dialektik, 122, Fussnote 1

Der institutionelle Ort von Religion und Glauben ist in der modernen Gesellschaft die „Privatsphäre“. Religion ist heute zur Privatsache geworden und besteht als ein Lebensbereich neben anderen Lebensbereichen. Nicht nur das. Es gibt in der modernen Gesellschaft auch die Religion nicht mehr. Es gibt nur noch eine Vielzahl von Religionen und Weltanschauungen, die gleichzeitig und mehr oder weniger politisch gleichberechtigt mit- und nebeneinander existieren. Auch in weltanschaulicher Hinsicht herrscht in der modernen Gesellschaft ein Pluralismus. Berger spricht von einem „Markt der Weltanschauungen“42Vgl. dazu: BERGER: “Ein Marktmodell zur Analyse ökumenischer Prozesse.” 1965. – Auch Dialektik, 132 f

All das bedeutet den Zerfall jener Plausibilitätsstrukturen, welche den überkommenen religiösen Vorstellungen ihren Wirklichkeitsstatus garantiert hatten. Mit dem Zerfall der Plausibilitätsstrukuren aber verdunstet nach und nach auch die Glaubenswirklichkeit. Der Glaube wird „unwirklich“. Jedenfalls kann er nicht mehr wie in einer Gesellschaft mit intakten Plausibilitätsstrukturen als „Welt des Schicksals“ hingenommen werden, sondern er verlangt jetzt persönliche Entscheidung, wird zur Sache der „Wahl“. War er ehedem als soziales Faktum sozusagen objektiv vorhanden, muss er nun ständig errungen werden durch subjektives Bemühen und subjektive Reflexion. Subjektivierter Glaube aber ist in sich immer unsicher, dem Zweifei ausgesetzt43Vgl. dazu: Dialektik, 143. – Zum Problem der “subjektivierung” vgl. Häresie, 33 f Wo das persönliche Bemühen um den Glauben ausbleibt, schreitet die Ausblassung der herkömmlichen religiösen Wirklichkeitsvorstellungen fort, bis schliesslich nichts mehr vorhanden ist von ihnen und sie auch nicht mehr vermisst werden. So kommt es, dass in Europa und Amerika heute immer mehr Menschen leben, „die sich die Welt und ihr eigenes Dasein auch ohne religiösen Segen erklären können“.

Natürlich habe ich hier Bergers Theorie nur sehr vereinfacht dargestellt. Aber schon das mag genügen, um zu erkennen, dass die heutige „Krise der Religion“ nicht irgendwelchen „geheimnisvollen Metamorphosen des Bewusstseins“ entspringt, sondern rational erklärbar ist und dass bei dieser Erklärung Bergers wissensssoziologisches Modell hilfreich und erhellend sein kann. Tatsächlich leistet die >Wissenssoziologie wichtige Dienste, wo es darum geht, Wesen und Funktion der Religion und ihrer aktuellen Situation zu verstehen.

Nur hat dieser Dienst auch seinen Pferdefuss. Er liegt genau darin, dass die Wissenssoziologie das Phänomen Religion erklären kann und zwar so erklären kann, dass Religion am Schluss als nichts denn Menschenwerk erscheint. Das bedeutet für die Religion eine radikale Relativierung. Damit ist ein Problem angesprochen, das bei Berger in seiner Auseinandersetzung mit Religion ebenfalls einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Nach Berger ist heutzutage die Soziologie, insbesondere die Wissenssoziologie die grosse Herausforderung für die Religion, bzw. für die Theologie – eben weil sie Religion als durch und durch menschliche Unternehmung begreift und durchschaubar macht.

Bereits vor der Soziologie haben andere moderne Wissenschaften für die Theologie das Problem der Relativierung heraufbeschworen, unter ihnen vor allem die empirischen Geschichtswissenschaften: „Die Geschichtswissenschaft liess eine Perspektive aufkommen, in der sich noch die bisher unantastbarsten Elemente der religiösen Überlieferung als Menschenwerk entpuppten“44Engel, 53. “Menschenwerk” hervorgehoben Auf die Spitze getrieben wurde das Problem der Relativität aber durch die Soziologie. Die Soziologie ist, wie Berger in „Auf den Spuren der Engel“ schreibt, nicht nur in der Lage, religiöse Traditionen als Menschenwerk zu erkennen, sondern auch zu erklären: „Die Historizität, der Produkt-Charakter der religiösen Tradition – und damit ihre Relativität eher denn Autorität – werden noch transparenter, wenn man die gesellschaftliche Dynamik hinter ihrem historischen Zustandekommen erkennt“45ebd. So wird zum Beispiel in wissenssoziologischer Perspektive die ganze soziokulturelle Bedingtheit religiöser Ideenproduktion sichtbar. Gerade bei religiösen Überzeugungen wirke sich das, meint Berger in „Einladung zur Soziologie“, besonders paradox aus. Denn: „Schliesslich gehört es sich einfach nicht, dass Gott, Kosmos und Ewigkeit an irdische Gesellschaftssysteme gebunden und mit der ganzen Relativität von Geographie und Geschichte behaftet sind“. Es sei eben doch etwas anderes, ob man sich in gelehrten Disputen über zeitlose Glaubensinhalte des Christentums ergehe oder die Frage aufwerfe, in welcher Verbindung eben diese zu den höchst zeitbebedingten Frustrationen, Ehrgeizen und Ressentiments gewisser Schichten in den Viel-Völker-Städten des römischen Weltreichs gestanden hätten, denen die Missionare die erste frohe Botschaft brachten46Einladung, 127

Aber nicht nur, was einzelne Ideen angeht, eröffnet die Wissenssoziologie desillusionierende Einsichten, sondern auch, was das Phänomen Religion als solches betrifft. Religion wird in soziologischer Perspektive als eine Realität begreifbar, die Menschen sich schaffen, weil sie sie brauchen und die nur dank gesellschaftlicher Stützprozesse als Wirklichkeit bestehen kann. In wissenssoziologischer Sicht sind Glaubensgemeinschaften und Kirche nichts anderes als „Plausibilitätsstrukturen“. In diesem Sinn lässt sich nach Berger der alte katholische Grundsatz „Extra ecclesiam nulla salus“ verstehen als theologische Einkleidung der wissenssoziologischen Einsicht, dass es ausserhalb der Plausibilitätsstruktur keine Plausibilität geben kann47Engel, 61 ; Dialektik, 46] – eine reichlich ernüchternde Erklärung. Jedenfalls nimmt sie der Kirche ihren geheimnisvollen Charakter und macht sie soziologisch durchschaubar: „Das Mysterium des Glaubens wird so auf einmal wissenschaftlich fassbar, praktisch nachvollziehbar und allgemein anwendbar. … Die Gemeinschaft der Gläubigen, einst ein Mysterium, ist nun nichts als ein Gebäude von Menschenhand, das Menschen, die durch eine spezifische Geschichte verbunden waren und sind, errichtet haben und ‚bewahren‘, ein Gebäude noch dazu, das unter Verwendung derselben Mechanismen auch abgeris-51 sen oder umgebaut werden kann“47Engel, 61 f. “Gebäude von Menschenhand” hervorgehoben

Berger bleibt nicht dabei stehen, das Problem der Relativität, das sich aus der wissenssoziologischen Sicht der Religion ergibt, zu konstatieren. Es ist ihm ganz offensichtlich ein Anliegen, dieses Problem zu bewältigen. Dazu macht er sich an mehreren Orten Gedanken. In „Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft“ zum Beispiel weist er auf die methodologischen Unterschiede zwischen der soziologischen Perspektive und jener der Theologie hin. Die Soziologie und die Theologie betrachten die Religion unter je verschiedenen Blickwinkeln – oder anders gesagt, sie bewegen sich in unterschiedlichen und wechselseitig immunen Bezugsrahmen. „Soziologische Theorie (und jede andere Theorie im Rahmen empirischer Wissenschaft)“, meint Berger, „betrachtet Religion sub specie temporis und lässt infolgedessen die Frage notwendig offen, ob und wie man sie auch 5 2 sub specie aeternitatis betrachten kann“48Dialektik, 170. “sub specie temporis” und “sub specie aeternitatis” hervorgehoben Diese letzte Frage bleibt der Theologie vorbehalten.

Die gleiche Argumentation findet sich auch wieder in „Für eine neue Soziologie“, wo Berger ebenfalls auf die Beziehung von Soziologie und Religion zu sprechen kommt und dabei das Problem der Relativität anschneidet. „Kann man noch“, fragt Berger sich hier, „nach religiöser Wahrheit fragen, wenn man einmal erkannt hat, dass auch die Religionssysteme soziale Konstruktionen sind?“49Neue Soziologie, 79. Ganzer Satz hervorgehoben Berger verweist auch hier darauf, dass die Soziologie sich im Rahmen des empirisch Fassbaren bewegt und nicht in der Lage ist, Fragen nach der Wahrheit religiöser Aussagen zu beantworten. Als eine empirische Wissenschaft hat die Soziologie keine andere „Wahl, als den ontologischen Status religiöser Aussagen beiseite zu lassen, denn all diese Aussagen liegen ausserhalb der Reichweite empirischer Forschung, sofern sie wirklich religiös sind“50eba., 83 Die Soziologie, auch die Religionssoziologie, muss nach Berger „agnostisch“ bleiben; „was immer sie über die religiösen Phänomene zu sagen hat, es bleibt im Rahmen dessen, was empirisch fassbar ist – was per Definitionen die Götter ausschliesst“51ebd., 79 Die Soziologie kann weder in den Dienst der Religion noch in den Dienst des Atheismus gestellt werden. Wo immer atheistische Schlussfolgerungen aus soziologischer Argumentation gezogen würden, seien „die Grenzen echt wissenschaftlicher Vorgehensweise überschritten“52ebd.

In soziologischer Perspektive erscheint Religion notwendigerweise als „menschliche Projektion“. Das heisst aber nicht – und Berger betont dies nachdrücklich – , dass sie nur menschliche Projektion sei: „Wenn man also sagt, dass Religion eine menschliche Projektion sei, schliesst man damit nicht aus, dass der projizierte Sinn letztlich einen vom Menschen unabhängigen Status haben könnte“53Dialektik, 170 Denn es wäre ja denkbar, „dass der Mensch einen letzten Sinn in die Wirklichkeit projiziert, weil diese selbst sinnhaft ist und weil sein Sein (die empirische Grundlage der Projektion) den nämlichen Sinn enthält und intendiert“54eba., 171 Doch dieses Problem zu klären muss nach Berger Sache der Theologie, nicht der Soziologie sein. An den Theologen liegt es, die Frage nach der Wahrheit und Gültigkeit religiöser Aussagen zu prüfen und zu beantworten.

Berger legt den Theologen dabei ans Herz, den Gedanken der Transzendenz nicht leichthin aufzugeben. Bestrebungen innerhalb der Theologie, transzendenzbezogene Aussagen ins rein Menschliche zu übersetzen, interpretiert und kritisiert er als voreilige kognitive Anpassung an das heute dominante säkularisierte Bewusstsein. Berger wehrt sich dagegen, dieses Bewusstsein als das allein massgebende hinzunehmen. In wissenssoziologischer Sicht ist es keineswegs „die Gestaltwerdung höherer kognitiver Kräfte“55Vgl. dazu: Engel, 66], sondern ein Bewusstsein, das wie jedes andere seine Existenz primär einer bestimmten Plausibilitätsstruktur verdankt. Es ist heute zwar plausibel, doch hat, wie Berger in einem anderen Zusammenhang bemerkt, die „Kategorie der Plausibilitätsstruktur … keinerlei erkenntnistheoretischen Status“55Häresie, 169. hervorgehoben Was plausibel ist, muss nicht auch schon wahr sein; und umgekehrt kann etwas wahr sein ohne dass es plausibel ist. Säkularisiertes Bewusstsein kann daher nicht letzte Verbindlichkeit beanspruchen. In wissenssoziologischer Perspektive wird vielmehr auch dieses Bewusstsein relativiert. So erweist die Wissenssoziologie sich gerade durch ihre relativierende Wirkung am Ende als Hilfe für die Religion. Jedenfalls bringt sie „eine ganz neue Freiheit und Beweglichkeit des Fragens nach der Wahrheit herauf“56Engel, 67 Während andere analytische Wissenschaften „uns vom Ballast der Vergangenheit“ befreien, befreit sie „uns von der Tyrannei der Gegenwart“ und lässt uns „ein gewisses Mass an Unabhängigkeit von den sogenannten Gewissheiten unserer Zeit“ gewinnen57ebd., 71 In diesem Sinn bedeutet die Wissenssoziologie mit ihren relativierenden Einsichten durchaus auch einen Trost für die Theologie. Die Herausforderung, welche die Soziologie für das theologische Denken beinhaltet, hat, „was man so leicht gar nicht erwarten würde, auch gewisse versöhnende Züge, die noch ihre ärgerlichsten Enthüllungen mehr als ausgleichen“, schreibt Berger in „Auf den Spuren der Engel“58eba. , 63

Bis dahin haben wir über Berger als Religionssoziologen gesprochen. Für Berger ist Religion indessen nicht nur ein soziologisches Thema. Immer wieder überschreitet Berger den Bezugsrahmen, die „Relevanzstruktur“ der Soziologie und begibt sich in jene der Theologie. Tatsächlich hat Berger eine ausgeprägte Neigung zur Theologie. „There is, in fact“, heisst es in „Cultural Analysis“ über ihn, „a distinct theological flavor to much of this work in that it is deeply concerned with questions of ultimate meaning, existence, and transcendent being“59CULTURAL ANALYSIS, 8 Wiederholt betont Berger dabei, dass er auf theologischem Gebiet kein Fachmann sei und dass er sich auf ein Risiko einlasse, wenn er sich auf das Feld der Theologie begebe60Bereits in “Kirche ohne Auftrag” (1961) weist Berger darauf hin, dass er “als Theologe keine Kompetenz für sich beanspruchen” könne und er theologische Fragen als Laie behandle. Vgl. S. 132.] Doch ist ihm die Sache der Religion dieses Risiko wert: „Wahrscheinlich lässt man sich am ehesten auf ein grosses Risiko ein“, meint er in „Auf den Spuren der Engel“, „wo es um etwas geht, das einem wichtig ist. Mir ist Religion besonders wichtig, und ich glaube, dass sie für jede Zeit und ganz gewiss für unsere eigene von der grössten Bedeutung ist. Wenn man sich schon bei jedem systematischen Durchdenken religiöser Fragen unversehens auf dem Terrain der Theologie wiederfindet, so darf man diese nicht nur den Theologen überlassen. Man muss also zum Risiko bereit sein. Man muss sich exponieren. Darin mag soviel Anmassung wie Bescheidenheit stecken“60Engel, 11 Was sein Verhältnis zu den professionellen Theologen angeht, konstatiert er im Vorwort zu „Der Zwang zur Häresie“, er habe bemerkt, dass theologische Fachleute nicht anders als andere Professionelle auf nicht autorisierte Aussenseiter reagierten, die es wagten, in ihr Revier einzudringen. Berger gibt auch unumwunden zu, dass ihm jede formale theologische Bildung fehle und meint, unter Umständen wären ihm manche Irrtümer und Unzulänglichkeiten in seinem Denken über Religion erspart geblieben, hätte er über eine solche formale Bildung verfügt. Doch dann fährt er fort: „Tant pis. Man tut, was man kann. Was die ‚professionellen Theologen‘ in letzter Zeit getan haben, ist keineswegs so überwältigend, dass wir nicht akkredidierten Leute uns genötigt fühlen müssten, das Schauspiel in ehrfürchtigem Schweigen zu bestaunen. Mehr noch, meine Gefühle sind noch ziemlich lutherisch, denn ich glaube, dass die Priesterschaft aller Gläubigen auch eine intellektuelle Dimension hat“61Häresie, 11

Ganz so unbedarft, wie er sich selbst darstellt, ist Berger theologisch allerdings nicht, auch nicht, was seine formale theologische Bildung betrifft. Mindestens eine Zeitlang muss er immerhin eine theologische Bildung genossen haben, sonst könnte er nicht seinem „ersten Lehrer der Theologie“ das Buch „Auf den Spuren der Engel“ widmen62Vgl. dazu: Engel, 11. Sein Name ist Frederick Neumann. Mehr noch – Berger hat sich einst sogar mit dem Gedanken getragen, lutherischer Geistlicher zu werden, bevor er die soziologische Laufbahn einschlug63CULTURAL ANALYSIS, 9: „He attended what was then called Wagner Memorial Lutheran College on Staten Island (majoring in philosophy) and upon graduation in 1949 entered the New School for Social Research abandoning his earlier plans of becoming a Lutheran minister.“ Weswegen er von seinem Plan abgekommen ist, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Vielleicht ist der Grund dafür in seiner Haltung gegenüber dem „religiösen Establishment“ in Amerika zu suchen, die zumindest in den frühen sechziger Jahren sehr kritisch war. Ich werde darauf zurückkommen bei der Untersuchung des Buches „Kirche ohne Auftrag“.

Wie dem auch sei. Jedenfalls hat seine Kritik an der etablierten Religion Berger nicht an seinem Christsein gehindert. Mit Ausnahme einer Phase, wo das nicht mehr der Fall zu sein schien64Ein Hinweis darauf findet sich in Protestbewegung, 24: „Ich bin Christ und bin Konservativer, aber mein Konservatismus entspringt nicht dem Christentum, sondern bliebe genau der gleiche, wenn ich kein Christ wäre (und ist auch tatsächlich der gleiche geblieben, solange ich mich nicht für einen Christen hielt).“], hat Berger sich tatsächlich immer als Christ verstanden. Seine Selbstauffassung erschöpfe sich nicht darin, dass er Soziologe sei, bemerkt er zum Beispiel in „Auf den Spuren der Engel“. Dann fährt er fort: „Ich bin auch Christ, wenngleich ich der Häresie, zu der meine theologischen Vorstellungen passen, noch nicht auf die Spur gekommen bin“64Engel, 10 In „Der Zwang zur Häresie“ wiederholt er sein Bekenntnis. Die Argumentation seines Buches setze keine spezifische Glaubensbindung voraus. Das sei aber kein Anlass, seinen eigenen Glauben zu verheimlichen: „Doch nichtsdestoweniger habe ich keinen Anlass, die Tatsache zu verschleiern, dass meine eigene Glaubensbindung unzweideutig (und ich wage zu sagen, unwiderruflich) christlich ist“65Häresie, 10

1.5. Zusammenfassung

Ich habe im vorliegenden Kapitel versucht, Peter Berger näher vorzustellen. Nach einigen biographischen Daten skizzierte ich dabei grob Bergers Soziologieverständnis, danach Bergers Verhältnis zur Politik und schliesslich seine Beziehung zur Religion. Eines dürfte bei aller Kürze und Unvollständigkeit meiner Angaben deutlich geworden sein: Berger hat ein sehr breites Interessenfeld. Er äussert sich zu wissenschaftstheoretischen und methodologischen Fragen ebenso wie zu Problemen der Politik, Kultur, Ethik, der Dritten Welt etc. Einen besonders wichtigen Platz nimmt in seinem Interessenspektrum das Thema Religion ein. Wie wir gesehen haben, befasst Berger sich mit diesem Thema unter mehreren Aspekten – in verschiedenen Rollen sozusagen. Er spricht über Religion als Religionssoziologe, als Theologe und als gläubiger Christ. Meint er dabei aber immer dasselbe, wenn er den Begriff „Religion“ verwendet? Bis jetzt steht eine Antwort auf diese Frage noch aus. Bisher lässt sich lediglich feststellen, dass Berger Religion in eine Verbindung bringt zu „gesellschaftsintegrierendem Sinnzusammenhang“ (vgl. Seite 15), zu „menschlicher Projektion“ (vgl. Seite 19) und zu „Transzendenz“ (vgl. Seite 20). Zwischen diesen beiden letzten Aspekten sieht Berger schliesslich eine gewisse Spannung, an deren Lösung ihm offensichtlich sehr gelegen ist.

Wie bringt Berger diese Aspekte nun alle unter einen Hut? Bringt er sie überhaupt unter einen Hut? Damit wir darüber Klarheit bekommen, müssen wir Bergers Beiträge zur Religion genauer unter die Lupe nehmen. Das soll mit dem nächsten Kapitel geschehen.

2. Bergers Religionsverständnis in seinen wichtigsten Publikationen zum Thema

Berger befasst sich, wie ich in der Einleitung schon gesagt habe, in einer Vielzahl von Büchern und Artikeln mit dem Thema Religion. Aus Gründen, die ich ebenfalls in der Einleitung angegeben habe, schränke ich mich für die folgende Untersuchung auf die Buchpublikationen ein. Diese werde ich in chronologischer Reihenfolge durchgehen.

2.1. Religion in „The Precarious Vision“ (1961)

„The Precarious Vision“ ist meines Wissens Bergers erste Buchveröffentlichung. Viele der Konzepte, die er in seinen späteren Schriften weiter entfaltet und entwickelt, sind hier bereits thematisiert. Das Buch wurde 1976 in einem Reprint wieder aufgelegt. Auf deutsch liegt es bisher nicht vor. Doch finden sich zahlreiche Gedanken, die Berger in „The Precarious Vision“ äussert, auch in „Einladung zur Soziologie“ wieder, zum Teil fast wortwörtlich. Ich werde daher an gegebener Stelle auch dieses Buch mit in die Untersuchung einbeziehen.

In „The Precarious Vision“ konfrontiert Berger seine Sicht der Gesellschaft mit seiner Auffassung von Religion und christlichem Glauben: „A Sociologist Looks at Social Fictions and Christian Faith“, heisst der Untertitel des Buches. Dabei ist Berger offensichtlich noch stark in der theologischen Landschaft verwurzelt. Schon die Titel, mit denen er die drei Teile des Buches – das Buch besteht aus drei Teilen und zwölf Kapiteln –überschreibt, verraten das. Den ersten Teil, wo Berger vom Wesen der Gesellschaft handelt, benennt er mit „Burden of Egypt“. Den zweiten Teil bezeichnet er mit „Burden of Zion“. Hier geht es um Wesen und Funktion der Religion. Der dritte Teil trägt den Titel „Exodus“. Darin legt Berger seine Sicht des christlichen Glaubens dar und dessen Beziehung zur soziologischen Perspektive. Einem Prediger wohl eher angemessen als einem Soziologen ist auch schon die Eingangsfrage des Buches: „Can a truly contemporary person be a Christian?“66BERGER: The Precarious Vision. A Sociologist Looks at Social Fictions ans Christian Faith. 1961.- Im folgenden bezeichnet als „Precarious“. S. 8. hervorgehoben. Wie kommt Berger dazu, sich diese Frage zu stellen? Sie gewinnt ihre Berechtigung vor dem Hintergrund des im ersten Teil entwickelten Gesellschaftsverständnisses und der Rolle, die Berger der Religion innerhalb dieses Gesellschaftsverständnisses zumisst. Schauen wir uns daher, den drei Teilen des Buches folgend, zuerst dieses Gesellschaftsverständnis näher an, danach Bergers Auffassung von „Religion“ und schliesslich in einem dritten Abschnitt, wie Berger den “christlichen Glauben” versteht.

2.1.1. Die „ungesicherte Schau” der Gesellschaft

Das Buch trägt den Titel „The Precarious Vision“, was etwa mit „Die ungesicherte Schau“ übersetzt werden kann. Damit ist gemeint, dass die Soziologie, so wie Berger sie versteht, Gesellschaft als ein unsicheres, prekäres, zerbrechliches Gebilde wahrnimmt. Diese „ungesicherte Schau“ der Gesellschaft ist das eigentlich Typische an der Soziologie, bzw. der soziologischen Perspektive – das was sie gegenüber der gewöhnlichen Gesellschaftswahrnehmung auszeichnet.

Normalerweise nehmen die Menschen die gesellschaftliche Welt für fraglos gewiss hin: „Society appears to most people as given“67ebd. Die Strukturen der Gesellschaft werden als quasi naturhafte Gegebenheiten und Selbstverständlichkeiten erfahren. Bei bestimmten Gelegenheiten allerdings werden diese Selbstverständlichkeiten aufgebrochen , und die bisherigen Sicherheiten stellen sich als höchst trügerisch heraus. Berger nennt solche Gelegenheiten Erfahrungen der „Alternation“. „Alternations“–Erlebnisse stellen sich mit Vorliebe ein bei gesellschaftlichen Um- und Zusammenbrüchen, bei der Begegnung mit fremden Kulturen oder sozialer Aussenseiterstellung. Eine „Alternations“-Erfahrung vermittelt aber auch die Soziologie, indem sie die Gesellschaft als ein sehr fragwürdiges Gebilde ins Licht rückt: „What characterizes this [die soziologische] perspective more than anything else is the manner in which it transforms a world which we are taught to take for granted into one that is very questionable indeed“68ebd. , 9 Die Welt ist nicht, was sie zu sein scheint: Das ist die Grundeinsicht, die die soziologische Perspektive vermittelt. Sie ist sowohl das Resultat als auch der Ausgangspunkt soziologischen Denkens und Bewusstseins: „Man kann wohl sagen, dass die erste Stufe der Weisheit in der Soziologie ist, dass die Dinge nicht sind, was sie scheinen“, schreibt Berger in „Einladung zur Soziologie“69Einladung, 32

Für Berger ist die Einsicht in die prekäre Natur der Gesellschaft eine positive Einsicht. Mehr noch – sie ist die notwendige Voraussetzung eines „authentischen Daseins in der Gesellschaft“: „This recognition of the precariousness of society is the necessary starting point for authentic existence in society“70Precarious , 8

Wenn die Gesellschaft nicht jene sozusagen naturhafte Gegebenheit ist, als die sie sich dem normalen Alltagsbewusstsein präsentiert, was ist sie dann? Berger sieht sie als ein Gewebe von Fiktionen, die von Menschen gesponnen und ersonnen wurden. Gesellschaft ist so etwas wie ein Theater, ein Drama, „a structure of dramatic fictions“, die einmal erfunden wurden und jetzt in der Gesellschaft als Bühne – „society as stage“ – aufgeführt werden71ebd., 48 ff Für die Mitglieder der Gesellschaft sind die sozialen Fiktionen allerdings verbindlich und zwingend. Sie determinieren das menschliche Handeln und begrenzen den einzelnen in seiner Bewegungsfreiheit. Berger kann daher in „Einladung zur Soziologie“ für die Gesellschaft das Bild eines Gefängnisses gebrauchen. Die Gesellschaft presst das Individuum in ihre Schemen, kontrolliert und sanktioniert sein 79 sein Verhalten72Vgl. dazu: Einladung, Kapitel 4: „Soziologische Perspektive I: Mensch in der Gesellschaft“. S. 77 ff. Der Begriff „Gesellschaft als Gefängnis“ findet sich zum Beispiel S. 105 oder 133 Wenn der einzelne den gesellschaftlichen Zwang nicht als solchen empfindet, dann darum, weil er diesen Zwang internalisiert hat. Die Gesellschaft bestimmt ihn jetzt von innen heraus. Unter diesem Aspekt gleicht die Gesellschaft einem Puppentheater: „And thus we perceive men running about to and fro on the stage, going through the motions of the play – all the time with keys turning slowly and predictably in their backs“73Precarious, 66. Vgl. dazu auch: Einladung, Kapitel 5: „Soziologische Perspektive II: Gesellschaft im Menschen“. S. 105 ff In einem entscheidenden Punkt allerdings unterscheidet der Mensch sich von einer Puppe: Er kann die ganze Maschinerie, die ihn bewegt, durchschauen. Und das eben wird ihm durch die soziologische Perspektive ermöglicht. Das Bild, das die Soziologie von der Gesellschaft vermittelt, ist daher nicht so sehr bestimmt vom Gesichtspunkt der Determination als vielmehr von jenem der Fiktionalität. Am Schluss gibt Gesellschaft sich im Licht der Soziologie nicht primär als Gefängnis oder Puppentheater zu erkennen, sondern als eine Bühne, auf der Menschen ein von Menschen verfasstes Stück aufführen: „Bühne, Theater, Zirkus, Karneval – das ist der luftige Grund, auf dem das dramatische Modell ruht. Und die Gesellschaft erscheint nun gefährdet, ungesichert und unberechenbar. Ihre Institutionen bedrängen uns zwar und üben Zwang auf uns aus. Aber zugleich wirken sie wie einstudierte Theaterstücke, wie Phantasieprodukte“74Einladung, 152. Vgl. dazu das ganze Kapitel 6: „Soziologische Perspektive III: Gesellschaft als Drama“. S. 135 ff

Für Berger ist dabei das Theaterstück, das da aufgeführt wird, eine Komödie, „in der die Menschen in ihren aufgeputzten Kostümen einherstolzieren, Hüte und Titel austauschen und sich gegenseitig eins auswischen mit ihren wirklichen oder eingebildeten Stöcken“75ebd., 177 Nur wenn man Gesellschaft in ihrer komischen Dimension begreift, kann man letzten Endes ihr wahres Wesen erfassen. Für die Soziologie bedeutet das, dass sie nie mit tödlichem Ernst an die Gesellschaft herantreten darf, sondern sich stets den Sinn für deren komische Seite bewahren muss, um sie wirklich zu verstehen: „Society has, indeed, the character of a costume party. To take the costume party too seriously means ipso facto missing an essential aspect of social reality. Sometimes we must laugh in order to perceive“76Precarious, 67

Die „ungesicherte Schau“ der Gesellschaft hat auch eine ethische Dimension. Nicht dass sie von sich aus zu konkreten moralischen Weisungen und Anleitungen führen würde. Doch begünstigt sie unbedingt bestimmte moralische Optionen: „However, we would argue, that the precarous vision enters decisively into certain moral choices“, meint Berger 77ebd., 20 So falle es zum Beispiel jemandem, der sich der Fiktionalität gesellschaftlicher Einrichtungen gewahr geworden sei, sicher schwerer, für die Todesstrafe einzutreten, als jemandem, der ganz naiv an die offizielle Moral glaubt. Die Todesstrafe ist für Berger das Paradebeispiel für die grausamen Konsequenzen, die sich aus der Verwechslung von gesellschaftlicher Fiktion mit Realität ergeben können. Sie kann den Menschen zu den schlimmsten Taten führen, weil der Mensch sich nicht mehr verantwortlich fühlen muss, wenn er gesellschaftliche Fiktionen als unerbittliche Realitäten hinnehmen kann. Die Auffassung der Fiktion als Realität verschafft dem Menschen mit anderen Worten ein moralisches Alibi. Zugleich lässt sie den Menschen aber auch in „Uneigentlichkeit“ leben: „To take the fictions as reality can become a moral alibi. It then becomes possible to avoid responsability for one’s actions. To live in unperceived fictions is morally dangerous because it leads to inauthenticity“78ebd., 85

In diesem Zusammenhang spielen bei Berger nun zwei Begriffe eine wichtige Rolle: der Begriff “bad faith“ und der Begriff „das Man“. Berger übernimmt sie aus der Existentialphilosophie. Das Konzept des „bad faith“ oder „mauvaise foi“ – Berger lässt den Begriff später unübersetzt – verdankt er SARTRE, jenes des „Man“ Martin HEIDEGGER79ebd., 89. Was den Begriff „bad faith“ betrifft, bezieht Berger sich auf Sartres „L’être et le néant“, bzw. „Being and Nothingness“. Vgl. Precarious, 233, Fussnote 2. Für „das Man“ zitiert er Heideggers „Sein und Zeit“. Vgl. Precarious, 234, Fussnote 3 oben

In „bad faith“ ist ein Mensch befangen, wenn er als Notwendigkeit ausgibt, was tatsächlich in seinem eigenen Belieben steht: „In other words, we understand a man to be in bad faith who excuses himself by pointing to his social role and to the ideologies in which the role is enveloped“80ebd., 89 Nach Berger gibt es kaum eine Situation, wo die Entschuldigung „ich habe keine andere Wahl“ wirklich stimmt. Die meisten Zwangssituationen erweisen sich bei genauerem Hinsehen als Situationen, die der Mensch so gewählt hat. „Mauvaise foi“ ist so gesehen schliesslich nichts anderes als die „Flucht vor der Freiheit“, ein „feiges Kneifen vor der ‚Agonie der Wahl‘“81Einladung, 157

Nach Berger wäre es nun übertrieben zu behaupten, die soziologische Perspektive würde „bad faith“ unmöglich machen. Aber schwieriger macht sie ihn auf jeden Fall. Denn wenn man die Gesellschaft einmal in ihrer Fixtionalität und Komik durchschaut hat, kann man schwerlich mehr so tun als handle es sich bei ihren Strukturen um unerbittliche Notwendigkeiten. Anders gesagt: Die soziologische Perspektve macht „totalen Glauben“ schwierig, und darin liegt ihre ethische Dimension: „The most dangerous people are the total believers. Insofar as the comic perspective on society, the vision of society as stage and precariousness, makes total belief very difficult, such perspective mitigates the more murderous varieties of earnestness. In other words, there is an ethical dimension to the precarious vision“82Precarious, 94 f

Mit dem heideggerschen Begriff „das Man“ ist eine unspezifizierte Allgemeinheit bezeichnet, durch die sich höchst beunruhigende Lebenstatsachen so ausdrücken lassen, dass der einzelne davon Kenntnis nehmen kann ohne selbst durch sie beunruhigt zu werden. Das „Man“ erfüllt eine Art Schutzfunktion. Es hindert das Individuum aber auch daran, „eigentlich“ zu existieren. Genau diese Funktion nehmen nach Berger nun auch die gesellschaftlichen Fiktionen wahr: „We would contend that the social fictions we have been discussing function as precisely this generality“83ebd., 96 Sie schirmen uns ab vom Risiko unserer Existenz, aber auch von ihrer Einzigartigkeit und Freiheit: „Generality shields us from the uniqueness of our existence, both the unique terror and the unique freedom of being ourselves“84ebd.

Mit den Existentialisten begreift Berger das menschliche Dasein als Geworfensein in eine Welt des Geheimnisses und des Schreckens. Wir leben in einem Universum „not too obviously constructed for our comfort“85ebd., 97 Am Rande eines Abgrundes uns bewegend, bewahrt uns die Gesellschaft davor, in diesen dräuenden Schlund blicken zu müssen: „Existence is leaning over a bottomless abyss. Society is the Potemkin village that shelters the abyss from our fearful eyes“86ebd. Solange wir auf der hellerleuchteten Bühne der Gesellschaft agieren, müssen wir das Dunkel, das uns umgibt, nicht wahrnehmen. Erst, wenn das Licht ausgeht, verschafft sich die Wirklichkeit der Nacht ihr Recht und lässt unsicher und zweifelhaft werden, was im hellen Licht der Tageswirklichkeit so sicher dastand.

Erlebnisse, in denen der Mensch aus den Gewissheitsroutinen der Gesellschaft heraustritt, nennt Berger Erfahrungen der „Ekstase“. Der Mensch macht im Lauf seines Lebens verschiedene „ekstatische“ Erfahrungen. Zumindest am Ende seines Lebens erfährt er eine „Ekstase“, bei seinem Tod. Für Heidegger ist der Tod die „Ekstase“ par excellence. Berger zieht den Kreis ekstatischer Erfahrungen dagegen weiter: „There are other ecstasies – of horror, awe, guilt, but also of sudden insight, pleasure, joy. What all ecstasies have in common is breaking through the routine, everyday, taken-for-granted 94 course of our life“87ebd., 96. Berger denkt also beim Begriff der „Ekstase“ „nicht etwa an eine mystische Überhöhung des Bewusstseins, sondern, ganz wörtlich, an das Heraussteigen aus den Gewissheitsroutinen der Gesellschaft“87Einladung, 150 Ekstase ist nach Berger die Voraussetzung für ein Leben in „Eigentlichkeit“ und Freiheit: „Nur wenn wir aus den Routinegewissheiten der Gesellschaft heraustreten, können wir erkennen, was Conditio humana ohne tröstliche Vernebelungen ist. Das heisst nicht, dass nur Rebellen und Aussenseiter der Gesellschaft ‚eigentlich‘ sein könnten. Aber es bedeutet, dass die Voraussetzung der Freiheit ein einigermassen ‚befreites‘ Bewusstsein ist. Welche Möglichkeiten zur Freiheit wir auch haben mögen: verwirklichen können wir sie nicht, solange wir die Binnenwelt des ‚in Ordnung‘ für die einzige halten, die es gibt“88ebd., 164

Ein Weg, die Gewissheitsroutinen der Gesellschaft zu verlassen, besteht in der Soziologie. Die soziologische Perspektive vermittelt eine „unsichere Schau“ der Gesellschaft, macht die Gesellschaft als ein prekäres Gebilde durchschaubar. Das heisst, sie verunmöglicht es, Gesellschaft als Gewissheit hinzunehmen. Vielmehr unterminiert sie durch ihre spezifische Sicht den Gewissheitscharakter der Gesellschaft. Insofern ist die soziologische Perspektive selbst eine bestimmte Form der Ekstase und als solche eine Vorbereitung auf ein Leben in „Eigentlichkeit“ und Freiheit: „Freedom is at best an approximation. None of us is free to abandon the stage … But insofar as a measure of liberation is possible, it involves a measure of seeing through the fictitiousness of society. This requires ecstasy. There are different varieties of ecstasy. We would contend, however, that the experience of alternation, the perception of the fictitiousness and precariousness of society, the perception of society as stage, that these are capable of providing a very significant kind of ecstasy“89Precarious, 99. – Erneut kommt Berger auf diese „ekstatische“ Wirkung der Soziologie in „Für eine neue Soziologie“ zu sprechen und zwar im Kapitel 4, wo er die Frage des Verhältnisses von Soziologie und Freiheit erörtert. Es heisst dort auf Seite 97: „Genauer gesagt, Soziologie ermöglicht es dem einzelnen, jene gesellschaftlichen Strukturen, die ihm zuvor als selbstverständlich erschienen – als unvermeidbar, unwandelbar, ‚hart‘ -, als künstlich und daher als veränderbar wahrzunehmen. Anders formuliert, Soziologie enthüllt die ‚Weichheit‘ der sozialen Strukturen und gestattet es mithin dem einzelnen, aus diesen Strukturen ‚herauszutreten‘ – zunächst im Geist, sodann im Handeln. Man kann dies ‚Heraustreten‘ auch als ‚Ekstase’ bezeichnen – ekstasis, ‚draussen stehen’/ nach draussen treten’.“

Damit ist der erste Teil von „The Precarious Vision“ abgeschlossen. Berger gab ihm, wie gesagt, den Titel „Burden of Egypt“, also „Bürde“, „Last“ Ägyptens. In diesen Ausdrücken liegt eine eher negative Einschätzung von Wesen und Funktion der Gesellschaft. Warum Berger sie so einschätzt, sollte aus dem Dargelegten klargeworden sein. Mit „Burden“ – „Burden of Zion“ – ist nun auch der zweite Teil betitelt. Das lässt auch auf eine negative Beurteilung der Religion schliessen.

2.1.2. Religion als Absicherung der Gesellschaft

Bergers Religionsverständnis leitet sich ab von seinem Verständnis der Gesellschaft. Seine Sicht der Religion ist eine Art Synthese zwischen der Religionsauffassung von Emile DURKHEIM und jener von Max WEBER, deren religionssoziologische Theorien er in „The Precarious Vision“ kurz referiert.

DURKHEIM versteht Religion von ihrer Funktion her, die sie für die Gesellschaft erfüllt. Diese Funktion besteht darin, die Gesellschaft symbolisch zu integrieren. Gesellschaft erscheint in funktionalistischer Perspektive als „a whole, a system of assumptions, conventions, and procedures shared by a group of human beings“90Precarious, 104 Die Frage, die sich die Funktionalisten dabei stellen, lautet: Wodurch wird dieses Ganze , dieser gemeinsame Bezugsrahmen zusammengehalten, wodurch hat er Bestand? Die Antwort: Das System hat Bestand, wenn es in der Gesellschaft eine umfassende Wirklichkeitsanschauung gibt, eine konsistente Erklärung des gesamten menschlichen Lebens, die dem einzelnen wie der gesamten Gesellschaft das Leben als sinnvoll erscheinen lässt. Eine solche umfassende Weltanschauung ist das, was Durkheim „Religion“ nennt91Vgl. dazu auch: Wir und die Gesellschaft (1972), 255 f Religion stimmt, indem sie sie in einen umfassenden Bezugsrahmen integriert, Werte und Einstellungen der Schauspieler auf der Bühne der Gesellschaft aufeinander ab und vermittelt so den Akteuren zugleich das Gefühl, dass ihr Spiel letztlich richtig und sinnvoll sei: „Religion, then, functions by integrating the actors ‚ values and beliefs in such a way that they are made capable of cooperation. Religion lets the actors believe that their play is ultimately right, and, of course, as a result of this belief the play is facilitated“92Precarious, 104 f

In Max WEBERS Religionstheorie sind es zwei Konzepte, die Berger als zentral erachtet: das Konzept der „Legitimation“ und das Konzept der „Theodizee“. Den Begriff der „Legitimation“ spielt bei Weber im Zusammenhang mit seiner Analyse der politischen Ordnung eine wichtige Rolle. Keine politische Ordnung kommt auf die Dauer aus ohne theoretische Rechtfertigung, d.h. ohne Legitimation ihrer Macht. Seit jeher das wirksamste Mittel der Legitimation war die Religion. Ihre Legitimationen werden jeweils besonders in Situationen benötigt, wo die politische Macht in eine Krise gerät, bei Krieg oder Aufstand zum Beispiel, oder dort, wo sie die Gesellschaftsmitglieder zum Einsatz ihres Lebens bewegen muss: „Power very easely involves men in ultimate sacrifice and ultimate guilt. Therefore power requires the ideas by which men interpret their ultimate experiences, the ideas which motivate men to face death and which rationalize their guilt“93ebd., 109 Den Begriff der „Theodizee“ versteht Weber in einem weiteren Sinn als im theologischen Sprachgebrauch üblich. Für Weber ist jede Erklärung von Leid eine Theodizee. Theodizee impliziert aber auch die Erklärung von Glück. Die Theodizee des Glücks bietet den vom Glück Begünstigten eine Rechtfertigung für ihr Glück, die Theodizee des Leidens will dem Leiden einen Sinn geben, insbesondere dem grundlosen Leiden. Wie Marx sieht auch Weber Religion als ein Mittel zur Aufrechterhaltung des Status quo. Indem Religion dem Leiden einen Sinn gibt, baut sie allfällige Spannungen ab, die aus dem Leiden entstehen und die soziale Ordnung gefährden könnten. Weber weigert sich indessen, diese statuserhaltende Funktion der Religion als universal und die einzig mögliche zu betrachten. Religion kann auch entlegitimierende Tendenzen zeigen.

Berger würde dem zustimmen. Doch betont er, dass die Religion in ihrer vorherrschenden Tendenz für die bestehende Gesellschaft funktional, nicht dysfunktional ist: „That is, religion will tend to provide integrating symbols rather than symbols of revolution. Religion will tend to legitimate power rather than to put it in question. Religion will tend to find rationalization for social inequalities … rather than to seek their removal“94ebd., 111

Religion funktioniert schliesslich auch mehr als Bestätigung denn als Infragestellung der gesellschaftlichen Fiktionen. Ja, darin, dass sie diesen Fiktionen den Schein von Sicherheit verleiht, sieht Berger die eigentliche Funktion der Religion: „Religion as a social institution tends to give an illusion of certainty to the dramatic fictions“95eba., 102 Gerade diese Funktion aber macht nach Berger die Religion moralisch gefährlich. Religion kann zur obersten Fiktion werden, die alle anderen Fiktionen absegnet, heiligt: „For this reason, religion as a social institution is morally dangerous. Religion can become the supreme fiction that sanctifies all the other fictions“96ebd.] Dadurch wirkt Religion sich am Ende aber auch als Bestätigung von „bad faith“ aus. Wiederum kommt Berger, um diesen Zusammenhang von Religion und „bad faith“ zu erläutern, auf das Beispiel der Todesstrafe zu sprechen. Bei der Verhängung und dem Vollzug der Todesstrafe, meint Berger, genüge es nicht mehr, dass Richter und Henker sich hinter ihren Rollen versteckten um sich ein moralisches Alibi zu verschaffen. Die Rolle selbst müsse bei derartigen Extremsituationen übermenschliche Dimensionen annehmen, sich in einen „übernatürlichen Spuk“ verwandeln: „Now the office itself must be transfigured by supernatural spookery. The act then takes on the quality of a divine intervention“96eba., 115 Als Beleg dafür verweist Berger auf das Schwert eines Scharfrichters, auf dem sich die Inschrift findet: „Herr Jesus, Du bist der Richter“. Das Schwert war jenes des Henkers von „Freiburg, in Switzerland“97ebd. – Berger kennt dieses Schwert aus Albert CAMUS’ Essay „Reflections on the Guillotine“. Siehe dazu; Precarious, 235, Fussnote 11. Auf französisch ist der Essay zu finden in: Arthur KOESTLER – Albert CAMUS: „Réflections sur la peine capitale“. Paris 1957. – Camus weist in dem Essay darauf hin, dass die katholische Kirche die Todesstrafe immer befürwortet habe und zitiert den Freiburger Nationalrat Grand, der sich noch 1937 bei der Nationalratsdiskussion über die Todesstrafe unter Berufung auf die Meinung der Kirche für die Todesstrafe ausgesprochen hat. In diesem Zusammenhang erwähnt Camus dann auch das Freiburger Richtschwert: “En vertu du même raisonnement sans doute, on pouvait lire, sur l’épée du bourreau de Eribourg, la formule ‚Seigneur Jésus‘ tu es le Juge’. Le bourreau se trouve alors investi d’une fonction sacrée. Il est l’homme qui détruit le corps pour livrer l’âme à la sentence divine, dont nul ne préjuge” (s. 170). – Das Schwert ist heute übrigens zu besichtigen im Freiburger Museum für Kunst und Geschichte. Seine Inschrift soll, so Berger, ausdrücken, dass nicht der Henker es ist, der da tötet, und auch nicht der Richter, das Gericht oder gar „the good people of the canton watching the execution“, sondern: „The killer is Jesus Christ, who is absolutely just and therefore absolutely beyond que-107 stroning“98Precarious, 115 Diese Auffassung ist nach Berger ein Akt von religiösem Glauben und „schlechtem Glauben“ in einem und zeigt, wie beide miteinander verbunden sind: „As the executioner’s sword comes down on the victim’s neck, we can see in the one stroke an act of religious faith and one of bad faith inseparably linked“99ebd.

Religion unterstützt nicht nur „mauvaise foi“, sondern bestärkt den Menschen auch in einem Dasein in „Uneigentlichkeit“. Indem Religion den sozialen Fiktionen Sicherheit und Stabilität verleiht, fördert sie die Vorstellung, dass die Welt, in der die Menschen leben, auf eine endgültige Art „in Ordnung“ sei. Religion ratifiziert mit anderen Worten eine Welt, die Berger – „for lack of a better term“ – als „OK-Welt“ bezeichnet100ebd. 121] . Eine „okay world“ ist immer eine Täuschung, denn in Wirklichkeit ist die Welt für den Menschen nie „OK“: „For in reality man does not live in an ‚okay world‘ at all. He rushes toward his own death on a course marked by indecipherable signs and surrounded on all sides by a darkness full of pain“100ebd. Diesem Schicksal muss ins Auge sehen wer „eigentlich“ leben will.Das aber ist in einer Welt, die „in Ordnung“ ist, nicht möglich. Allerdings will Berger seine Äusserungen gegen eine Welt des „in Ordnung“ nicht so verstanden wissen, als ob der Wunsch des Menschen nach Ordnung, nach einem intelligiblen Kosmos und einem Sinn seines Schicksals verfehlt sei und „eigentliche“ Existenz nur jenseits von Ordnung möglich wäre. Der Mensch braucht vielmehr eine Ordnung. Aber er muss sich diese Ordnung selber schaffen. Sie ist ihm nichts Vorgegebenes, wie das eine Welt vermuten lässt, die sich als „okay world“ darstellt: „Order is something that men seek, passionately desire, try to construct precariously in their own lives. Order is not something given, self-evident, secure. The ‚okay world‘ gives the latter impression, which is not only illusionary but which effectively stopp the search for order before it has even started – in the illusion of already sitting safely in an oasis men abandon the search for paths through the wilderness“101ebd. 122

Als umfassendes Legitimationssystem hat Religion ihrem Wesen nach „a claim to catholicity“102ebd. 123 Damit meint Berger, dass jedes Religionssystem sich als das allein wahre und gültige versteht und Herausforderungen dieses Anspruches entsprechend begegnet. Jede Herausforderung bedeutet nicht nur eine Gefahr für das religiöse System selbst, sondern auch für die Welt, deren Garant das Religionssystem ist: „Any attack on the system powerfully evokes the possibility that one’s Potemkin village may collapse and that one may be nakedly delivered to the terrors that lurk behind it“103ebd. Auf diese Möglichkeit reagiert das System mit präventiven und therapeutischen Massnahmen. Berger verweist dabei auf die kirchliche Tradition, wo diese Massnahmen bekannt sind unter der Bezeichnung „Apologetik“ und „Seelsorge“. Beides sind Mittel den „Zweifel zu organisieren“: „Both apologetics and the care of souls involve an organization of doubt“104ebd. 125 Sie sollen verhindern, dass der Gläubige aus seinem Glaubenssystem heraustritt, was aber gerade die Voraussetzung wäre für eine „eigentliche“ Existenz. So erweisen sich die therapeutischen und Präventivmassnahmen als Mittel, „Uneigentlichkeit“ und „bad faith“ aufrechtzuerhalten. Sie hindern die Menschen daran, sehend zu werden: „It is the chorus of the blind insisting that all men pluck out their eyes. It is the intellectual systematization of inauthenticity“105ebd.]

Religion verleiht der Gesellschaft und dem einzelnen Sicherheit. Sie erfüllt dadurch eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Berger würde jenen durchaus recht geben, „who maintain that religion is a vital function of society, or even its basis“105ebd. Doch betrachtet er diese Feststellung als alles andere denn als Empfehlung für die Religion. Denn: „Religion is needed in society because men need bad faith. The paradigm of social function of Religion is the sword of the executioner at Freiburg“106ebd.

2.1.3. Christlicher Glaube als „Exodus“

„Can a truly contemporary person be a Christian?“, fragt Berger sich zu Beginn seines Buches und stellt später diese Frage im Hinblick auf die moralischen Konsequenzen religiöser Legitimation noch schärfer: „Can a decent person be a Christian?“107ebd. 21]
Berger beantwortet diese Frage mit Ja. Wie ist das möglich? Wie kann er zu einer positiven Antwort kommen, wo er Religion so negativ einschätzt? Gehört er mit seiner Religionsauffassung nicht eher in das Lager der Religionskritiker? Tatsächlich widmet er in „The Precarious Vision“ der Religionskritik – der „antireligious critique“ – ein ganzes Kapitel, in dem er sie als möglichen Weg zu „Eigentlichkeit“ und Freiheit preist: „The antireligious critique serves to unmask the inauthenticity of the religious rationalisation. Atheism or agnosticism may be steps into freedom“107ebd. 146

Berger kann sich dennoch zum christlichen Glauben bekennen, weil für ihn christlicher Glaube nicht gleich Religion ist. Christlicher Glaube steht, wie er meint, der Religionskritik viel näher als der Religion, ja, er stellt selbst eine Form radikaler Religionskritik dar: „The Christian faith is not religion in the sense of our analysis. The Christian faith is closer to the antireligious critique than to religion. In fact, the Christian faith provides a radical antireligious critique of its own“108ebd. 162

Diese Auffassung erinnert natürlich an Karl BARTH, der zumindest in diesem Punkt Bergers Denken geprägt hat. Stärker noch als von Barth glaubt Berger sich indessen von zwei anderen religiösen Denkern beeinflusst: von Dietrich BONHOEFFER und von Simone WEIL. Was Berger an ihnen schätzt, ist ihre Kombination von leidenschaftlichem christlichem Engagement und intellektueller Redlichkeit, bzw. Klarsicht der Realitäten dieser Welt: „It would be difficult in this century to find two other thinkers with that combination of merciless intellectual honesty and passionate commitment to Christianity, or any that would share such clear consciousness of the realities of the modern world“109ebd 164

Im Mittelpunkt von Bergers Verständnis des christlichen Glaubens steht die Idee des transzendenten Gottes der Bibel. In dieser Idee liegt nach Berger die zutiefst religionskritische Dimension des christlichen Glaubens begründet. Gott hat die Hebräer von den üppigen Fleischtöpfen Ägyptens weggeführt – von Fleischtöpfen, die nach Berger durchaus nicht bloss in einem materiellen Sinn zu verstehen sind: „Much more importantly there were the spiritual fleshpots, all the comforts of the gods of the Nile“110ebd. 168 Nicht die Welt im profanen Sinn war es in erster Linie, die Israel hinter sich lassen musste, sondern die Welt der Götter, d.h. die religiöse Welt und all die Sicherheiten, die sie dem Menschen bietet: „It is just this religious security which the terrible Hebrew God is bent on undermining“111ebd. 167 Vor dem Gott Israels erweisen sich alle religiösen Bemühungen als ein Aufrichten von Idolen. Das Merkmal von Idolen aber ist, dass sie Menschenwerk sind, errichtet durch Menschenhand und durch menschlichen Geist. Religion ist mit anderen Worten im Menschen begründet – der Gott Israels dagegen ist es nicht: „The roots of religion are within man. But the God of Israel is not to be found within man or anywhere within the natural 124 order of the cosmos“112ebd. 168

Der Glaube an den absolut transzendenten Gott verunmöglicht es dem Christentum, jene Funktionen wahrzunehmen, die von der Religion erwartet werden. Christlicher Glaube kann zum Beispiel keine Garantie bieten für die gesellschaftlichen Fiktionen: „On the contrary, Christian faith puts in question the assumptions, the self-righteousness, and with these the bad faith of the social carnival. The pretensions of the masquerade collapse in the encounter with the God of truth. Men stand before God as men and as nothing but men“113ebd. 172 f Ebensowenig kann christlicher Glaube die Grundlage sein von „law and order“ und für ein Leben ohne „Ekstasen“. Weit davon entfernt, die Menschen in ihren „sound and sober arrangements“ angesichts der letzten Fragen des menschlichen Daseins zu bestärken, zerrt der christliche Glaube sie vielmehr aus ihren Sicherheiten heraus, „puts them and all that is theirs under judgement, throws them up against all the metaphysical questions that can be asked and thence into the luminous night of God’s desert, a night, stabbed with terror but also with pangs of joy. Religion, as the guarantor of soundness and soberness, functions to prevent ecstasies. The Christian faith propels men into the most shattering ecstasy conceivable“114ebd. 176

Christlicher Glaube fordert, dass der Mensch seine Sicherheiten loslässt, sowohl die Sicherheiten der Gesellschaft wie jene der Religion. Er verlangt mit anderen Worten den Auszug, den „Exodus“ aus der Welt täuschender Sicherheiten: „Christian faith calls in this way for an exodus from the worlds of illusion and bad faith. It is an exodus out of the Egypt of deceptive social safety, but also out of the Zion of deceptive religious security“115ebd. 180

Nackt kommt der Mensch zur Welt, ohne Namen, ohne Rolle, ohne Identität. All das wird ihm erst nach und nach gesellschaftlich zugedacht. Vor Gott aber bleibt der Mensch nackt: „It would seem that no Christian understanding of society can dispense with this awareness of man’s persisting nakedness beneath his social masquerades“116ebd. 194 Vor dem Gott des christlichen Glaubens ist es für den Menschen auch nicht mehr möglich, sich hinter sozialen Rollen zu verstecken und sich damit der moralischen Verantwortung zu entledigen. Christlicher Glaube macht anders gesagt auch „bad faith“ unmöglich. Er durchschaut „bad faith“ und stösst die sich als Notwendigkeit gebärdenden sozialen Fiktionen von ihrem Sockel: „The Christian faith radically debunks the social fictions“117ebd. 186 Was das betrifft, hat der christliche Glaube nach Berger Aehnlichkeiten mit der soziologischen Perspektive. Wie diese stellt auch er die gesellschaftlichen Gewissheiten in Frage und rückt die Relativität der sozialen Fiktionen ins Licht. Wie die Soziologie hat dadurch auch der christliche Glaube etwas Beunruhigendes, „Subversives“ an sich gegenüber einer Welt, die sich in sicherem Glück wiegt: „There is an instructive affinity between Christian faith and the analytic enterprise of the social sciences in that both serve to disturb this happy state of affairs“118ebd. 204], Die soziologische Perspektive ist mit ihrer desillusionierenden Wirkung weit davon entfernt, ein Gegensatz zum christlichen Glauben zu sein. Vielmehr kommt sie der prophetischen Sendung des christlichen Glaubens als sozusagen weltliches Hilfsmittel entgegen: „The Christian faith, in its prophetic mission, confronts man with a truth of such force that the precarious pretensions of his social existence disintegrate before it. The debunking effect of social-scientific analysis is far from contradictory to this prophetic mission. Indeed, it might be called its profan auxiliary. The smashing of idols, with whatever hammers, is the underside of prophecy“118ebd.

Berger sieht noch andere Gemeinsamkeiten zwischen der soziologischen Perspektive und dem christlichen Glauben. Wie die Soziologie lässt auch der christliche Glaube die Gesellschaft letzten Endes als eine Komödie erscheinen: „The Christian faith, because it views the world under the aspect of redemption, reveals society under the aspect of comedy“119ebd. 209 Christlicher Glaube kann das Treiben auf der Bühne der Gesellschaft nie todernst nehmen. Mit letztem Ernst begegnet er einzig dem transzendenten Gott und die Begegnung mit ihm macht es unmöglich, in dieser Welt völlig aufzugehen. Es bleibt eine Distanz zu ihr. Distanz aber ermöglicht Klarsicht, auch in bezug auf die Gesellschaft: „The Christian faith, when it is true to itself and really is ‚in the world but not of it‘, provides distance from society and thus creates opportunities for perception“120ebd. 217 So erweist sich am Ende nicht bloss die soziologische Perspektive als Hilfe für den christlichen Glauben und seine prophetische Mission, sondern umgekehrt auch der christliche Glaube als Hilfe für die soziologische Perspektive.

2.2. Religion in „Kirche ohne Auftrag“ (1961)

Im gleichen Jahr wie „The Precarious Vision“ brachte Berger noch ein zweites Buch zum Thema Religion heraus: „The Noise of Solemn Assemblies. Christian Commitment and the Religious Establishment in America“. Auf deutsch ist es 1962 erschienen unter dem Titel „Kirche ohne Auftrag. Am Beispiel Amerikas“. Berger sagt in diesem Buch, was die Grundgedanken angeht, nichts Neues. Er konkretisiert die in „The Precarious Vision“ entwickelte Sicht bloss an der religiösen Situation im Amerika der fünfziger, anfangs sechziger Jahre. Allerdings ist leicht zu erkennen, dass Berger diese Situation bereits bei seinen Überlegungen zur Religion in „The Precarious Vision“ vor Augen hatte.

Das Buch gliedert sich in zwei Hauptteile. Der erste trägt den Titel „Das Wesen der religiösen Ordnung“, der zweite ist überschrieben mit „Die Aufgabe der Distanzierung“. Mit einem „Zwischenspiel“ leitet Berger vom ersten zum zweiten Teil über. Er schliesst das Buch mit einem „Postscript über die Nachfolge“.

Was die Wirkung sowohl dieser Publikation wie auch von „The Precarious Vision“ betrifft, heisst es in CULTURAL ANASYSIS, die Bücher seien allgemein gut aufgenommen worden, hätten indessen in kirchlichen Kreisen für eine gewisse Aufregung gesorgt: „Though well received, these books stirred authentic commotion in ecclesiastical circles inasmuch as they challenged many core assumptions of the religious (particularly, Protestant) establishment of the day“121CULTURAL ANALYSIS, 10

2.2.1. Das Wesen der religiösen Ordnung

Im ersten Teil von „Kirche ohne Auftrag“ liefert Berger eine soziologische Analyse der amerikanischen Religiosität. Berger geht dabei von der Feststellung aus, dass die Religion „eine sicher etablierte und in einer selbstverständlichen Weise anerkannte wichtige Insti-135 tution der amerikanischen Gesellschaft“ ist122Kirche ohne Auftrag, 37] . Es gibt in Amerika so etwas wie ein „religious establishment“, eine „religiöse Ordnung“122ebd. – Der Begriff „religious establishment“ hat einen spezifischen Sinn, der sich mit einer wörtlichen Übersetzung des Ausdrucks nicht wiedergeben lässt. Vgl. dazu die Bemerkung von Hans BOLEWSKI, der Bergers Buch übersetzt und ein Vorwort dazu geschrieben hat, in dem er auf Seite 6 sagt: „Berger bedient sich für das, was wir mit ‚religiöser Ordnung‘ wiedergegeben haben, eines Begriffs, der ebenfalls eine wörtliche Übersetzung nicht gestattet, nämlich des Begriffs ‚establishment‘. Der Begriff entstammt dem europäischen Staatskirchentum angelsächsischer Prägung. Man bezeichnet den öffentlich anerkannten Glauben als eine ‚established religion’ und spricht in diesem Sinne von einer ‚established church‘.“ Erstaunlich daran ist, dass diese religiöse Ordnung sich „in einer hochgradig säkularisierten Gesellschaft findet“123Kirche ohne Auftrag, 38], d.h. in einer Situation, wo religiöse Motive von geringer Verbindlichkeit zu sein scheinen auf den grossen Gebieten des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens. So existiert das merkwürdige Paradox, „dass die Religion in der amerikanischen Gesellschaft einerseits von anscheinend hoher funktionaler Bedeutung ist, dass sie aber auf der anderen Seite im Vergleich zu den eigentlichen bewegenden Kräften in dieser Gesellschaft als irrelevant erscheint“123ebd., 108 Wie kann man dieses Paradox erklären? Nach Berger lässt es sich in eine einfache These auflösen: „Die gesellschaftliche Irrelevanz der religiösen Ordnung ist in ihrer Funktionalität selbst begründet“124ebd. Ganzer Satz hervorgehoben. Und worin besteht diese Funktionalität der religiösen Ordnung? Sie besteht darin, dass das religiöse Establishment die bestehende Gesellschaft und deren Wertsystem rechtfertigt, legitimiert.

Jede Gesellschaft besitzt ein bestimmtes Wertsystem, das für ihre Mitglieder festlegt, welchen Zielen sie nachstreben sollen und was ein „guter“ oder „schlechter“ Lebenswandel ist. Es gibt eine Art 140 „gemeinsamer Glaube“ in jeder Gesellschaft125ebd., 45. Berger übernimmt den Ausdruck von Will HERBERG. Für Amerikas „gemeinsamen Glauben“ sind nach Berger die am stärksten auffallenden Besonderheiten „seine ausgesprochene Diesseitigkeit“, der Wert des „im Wettbewerb errungenen Erfolges“, der Wert des „Aktivismus“ und jener der „sozialen Anpassung“126ebd., 45 ff Schaut man nun, wie das religiöse Establishment sich diesen Werten gegenüber verhält, kann man allenthalben spannungslose Übereinstimmung feststellen.

Die Ausrichtung auf das Diesseits beispielsweise zeigt sich darin, dass die Religion „in der Hauptsache eine Angelegenheit der Moral und der Psychologie“ geworden ist und sich kaum mehr mit der Realität des Übernaturliehen beschäftigt: „Ja, wollte man in der Religion so etwas wie einen Umgang mit dem Übernatürliehen sehen, dann würde das, was in den meisten unserer Kirchen geschieht, schwerlich diesen Namen verdienen“127ebd., 46 Die Diesseitsgerichtetheit reicht bis in die religiösen Grundhandlungen: „Selbst das Gebet, dieser kühne Versuch des Menschen, einen, der unendlich über alles menschliche Mass erhaben ist, anzureden, wird zur Gelegenheit für moralische Ermahnung oder psychologische Lenkung“128ebd.]

Auch der Wert des „Aktivismus“ wird von den Kirchen kritiklos übernommen und selbst praktiziert. Wie die Gesellschaft sind auch die Kirchen „stolz auf ihre Akitivität, auf ihren praktischen Sinn und darauf, dass sie die Probleme, ‚bei denen man etwas tun kann‘, realistisch angehen“128ebd. 49 Rein geistige Werte interessieren die Amerikaner wenig. Aktivität geht ihnen über alles; die Amerikaner sind „Täter“, Macher. „Logisch entspricht einer solchen Heraushebung der Aktivität eine Abwertung des kontemplativen Lebens. Der Träumer, der Mystiker, der Denker, der seine eigenen Wege geht, der Dichter, alle diese sind in der amerikanischen Gesllschaft Randfiguren…“129ebd., 48. Das Zitat endet so: „… Randfiguren, ein Zustand, der in Raymond Arons Schilderung Amerikas als ‚Hölle der Intellektuellen ‚ sehr gut beschrieben wird.“]. Dasselbe ist auch in den Kirchen zu beobachten: Gebetsleben und Theologie werden besonderen Fachleuten anvertraut. Das durchschnittliche Kirchenmitglied und der durchschnittliche religiöse Funktionär haben „für dergleichen Exzentrizitäten wenig Zeit“: „So ist der Intellektuelle in der religiösen Institution ebenso 146 eine Randfigur wie in der gesamten Kultur“129ebd., 49. Diese an rein intellektueller Tätigkeit wenig interessierte Haltung zeigt sich bereits bei der Ausbildung des kirchlichen Personals. Dazu Berger am selben Ort: „Die Seminare für die Ausbildung religiöser Funktionäre sind, von einigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen, offen gesagt, nichts anderes als ‚Berufsschulen, d.h. sie bilden ihre Studenten so aus, dass sie so wirksam wie möglich und mit einem Minimum von verstandesmässiger Vorbereitung in der religiösen Institution eingesetzt werden können. Die Theologie ist damit bestenfalls eine Art Berufsideologie, so wie etwa für den Berufssoldaten der Patriotismus als eine Rationalisierung seines Tuns notwendig ist.“ Vgl. dazu auch BERGER: „Religious Establishment and Theological Education“ (1962).

„Trotz der prophetischen Tradition, die in der Bibel eine so grosse Rolle spielt“, stehen die Kirchen auch mit dem Wert der „sozialen Anpassung“ in grosszügiger Übereinstimmung130Kirche ohne Auftrag, 50 Der exzentrische, nonkonformistische Mensch oder gar der Rebell haben auch in ihr einen schweren Stand. Soziale Anpassung setzt voraus, dass man die bestehende Gesellschaft grundsätzlich als gut betrachtet und sie vor Infragestellung beschützen will. So hat dieser Wert „häufig ein konservatives Element in sich. Die gesellschaftliche Wirklichkeit erscheint als ein harmonisches Gleichgewicht, und die Sozialethik richtet sich in erster Linie gegen die Störungen dieses Gleichgewichts“131ebd., 51 Die soziale Welt wird dabei „in einer höchst einseitigen Weise gesehen“, nämlich nur von ihrer Tagseite her. Im Gegensatz zu Kulturen, „in denen die metaphysischen Dimensionen der menschlichen Existenz (wie der Tod, das Böse, die Leidenschaft in all ihren Formen) erkannt und im Bewusstsein erhalten werden“132ebd. Als Beispiel einer Kultur, die diese „metaphysischen Dimensionen“ der menschlichen Existenz nicht verdrängt, führt Berger Spanien an. Vgl. ebd.], werden sie in Amerika so weit wie möglich ausgeblendet. Wenn man sagen kann, „dass das menschliche Dasein eine Tag- und eine Nachtseite hat, dann betonen die amerikanischen Werte die erstere ganz stark gegenüber der letzteren“132ebd. Amerika beschreitet eine Art kulturellen „Weg der Mitte“, der sich dadurch auszeichnet, dass er immer versuchen wird, „alle Erfahrungen einer Ekstase, d.h. alle Erfahrungen, in denen Menschen vom Pfade der täglichen Lebensroutine abgehen und den eigentlichen Schrecken des menschlichen Daseins begegnen, zu vermeiden“133ebd., 52. Der Begriff „Weg der Mitte“ stammt aus dem Konfuzianismus. Berger vergleicht die amerikanische Kultur mit jener „des konfuzianischen China, in der die metaphysischen Probleme auch durch die Betonung einer gescheiten, vernünftigen Führung des praktischen Lebens unterdrückt wurden.“ 134ebd., 51 f Ihren beredtsten Ausdruck findet diese Haltung in den amerikanischen Begräbnissitten135ebd., 52 Der „Weg der Mitte“ findet seine Bestätigung in der Religion amerikanischer Prägung: „Die religiöse Ordnung untermauert die Werte des ‚Weges der Mitte’“136ebd., 53 Eigentlich ist das erstaunlich: „Denn die Religion hat sich nun einmal seit unvordenklichen Zeiten mit den Tatsachen des Bösen, des Leidens und des Todes befasst“137ebd., 52 f Die „religiöse Ordnung“ Amerikas „hat es aber geschafft, diese Elemente in einem bemerkenswerten Ausmass herabzumindern“138ebd., 53 Kein Wunder, kann doch „eine Religion, die sich ganz auf die moralische Lebensführung und den Trost des Gemüts beschränkt, auf die metaphysische Dimension der menschlichen Existenz verzichten“139ebd., 53

Welche Werte es auch sind, die die amerikanische Gesellschaft prägen, das „religious establishment“ stimmt mit ihnen überein und bestätigt sie. Die religiöse Ordnung lässt sich als einen „vorwiegend passiven Ausdruck des amerikanischen Wertsystems“140ebd.] betrachten, der die bestehenden Werte rechtfertigt, ohne dabei selber wertebestimmend zu wirken: „Die religiöse Institution bringt keine eigenen Werte (vielleicht sollte man sagen ‚mehr‘) hervor; vielmehr bestätigt und heiligt sie die in der allgemeinen Gemeinschaft bereits vorherrschenden Werte“140ebd. , 44 Eben darin liegt ihre gesellschaftliche Funktionalität. Die Kirchen – Berger meint in erster Linie „den Protestantismus des Mittelstandes“ – wirken in der amerikanischen Gesellschaft „als die Integratoren und Förderer einer allgemeinen Kulturreligion“141ebd., 54] . Oder anders gesagt, sie erfüllen im Sinne von Emile DURKHEIMS Religionstheorie „die Funktion der symbolischen Integration“141ebd. , 55 Der Hauptgrundsatz der durkheimschen oder, allgemeiner gesagt, der funktionalistischen Theorie besagt, „dass die Religion besonders durch ihre gemeinschaftsbildenden Symbole die Gesellschaft zusammenführt und trägt“142ebd. Berger ist mit dieser Theorie nicht in allem einverstanden. Wahrscheinlich sei es zwar richtig, dass die Religion sich zuallermeist gesellschaftlich integrierend auswirke. Doch müsse eine soziologische Theorie der Religion „auch imstande sein, solche Fälle zu berücksichtigen, in denen die Religion dazu da ist, eine Gesellschaft zu desintegrieren, wo sie zur Gesellschaft nicht ein funktionales, sondern ein disfunktionales Verhältnis“ habe143ebd., 55 f. Berger betont diese desintegrierende Möglichkeit noch einmal Seite 77 f: „Ein Soziologe vom Typ Durkheim würde sogar behaupten, dass die Religion immer dazu da sei, die Gesellschaft symbolisch zu integrieren, und ein Marxist wird versuchen zu beweisen, dass die Religion immer einen Teil des Apparats der sozialen Kontrolle bildet. Um es noch einmal zu sagen, der Verfasser dieses Buches möchte mit diesem ‚immer‘ nichts zu tun haben. Ihm liegt vielmehr daran, zu zeigen, das die Religion bisweilen die sozialen Symbole desintegriert und dass die Religion sich bisweilen zur politischen Ordnung geradezu subversiv verhalten kann.“ Bei der religiösen Ordnung in Amerika allerdings ist das funktionale Verhältnis offensichtlich.

Dieses funktionale Verhältnis manifestiert sich nicht bloss auf der kulturellen Ebene, sondern auch in anderen Bereichen, zum Beispiel jenem der Politik. Trotz verfassungsmässig festgehaltener Trennung von Kirche und Staat existiert in Amerika zwischen beiden ein inniges Verhältnis: „Die Kulturreligion ist auf allen Ebenen von der Regierung politisch anerkannt und erhält vom Staat moralische und wirtschaftliche Hilfe“144ebd., 68 Und umgekehrt hilft die Religion dem Staat, indem sie zum Beispiel „die Funktion der sozialen Kontrolle“ wahrnimmt. Sie ist „ein Agenz der sozialen Kontrolle, durch die sich der einzelne die Normen der Gesellschaft zu eigen macht und die ihn mit den psychologischen Mechanismen der Schuld und der Reue ausstattet, die es der Gesellschaft wiederum erlauben, mit dem geringstmöglichen Apparat an äusseren Kontrollen auszukommen“145ebd., 76

Funktional wirkt sich die Religion auch auf der sozialen Ebene aus, wo sie etwa „die Funktion der Statussymbolik“146ebd., 78] wahrnimmt oder dazu dient, die in einer bestimmten Gesellschaftsschicht gültigen Werte und Klassenmerkmale zu repräsentieren und religiös zu überhöhen. Religiös verklärt gilt „kleinbürgerlicher Gemeinschaftsrummel“ mit einem Mal „als christliche koinonia, und die im Garten über dem Holzkohlenfeuer gebratenen Steaks und Würstchen werden von zahllosen Gemeinde- und Frauenhilfspicknicks verzehrt, als handele es sich um eine agape“146ebd., 90

Auf psychologischer Ebene schliesslich ist die Religion „ganz allgemein eine Voraussetzung für seelische Gesundheit“147ebd, 95 Sie hilft dem einzelnen „auf die Wirklichkeit einzugehen“148ebd., 97], und zwar auf jene Wirklichkeit, wie sie sich dem normalen Alltagsbewusstsein präsentiert. Das heisst, die Religion ist ein wesentliches Element dessen, was Berger die „OK-Welt“ nennt: „Die religiöse Institution wird dem einzelnen zu einer Garantie dafür, dass die Welt so ist, wie sie sein sollte. Der Anschluss an die religiöse Institution wird zu einem Gelöbnis der Treue zur ‚OK-Welt‘, zum Normalen, zum Status quo“148ebd., 98

Zusammenfassend kann man also sagen, dass die Religion sowohl eine soziale wie eine individuelle Integration der gesellschaftlichen Werte bietet. Immer geschieht dabei diese Integration auf der Grundlage des Wertsystems, das in der Gesellschaft bereits besteht: „Die religiösen Menschen haben keine Werte, die von denen der anderen wesentlich verschieden wären. Aber sie hängen stärker an diesen Werten. … Die religiöse Institution hilft dem einzelnen, sich so zu ‚sozialisieren‘, dass er mit den Normen seiner sozialen Gruppe übereinstimmt, ohne Rücksicht darauf, was diese Normen sind“149ebd. 106 Die Integration ereignet sich ferner auf der Basis einer Wirklichkeitssicht, die sich auf die „Tagseite“ des Lebens konzentriert. Diese Sicht hat wenig Sinn für „Ekstase“. „Ekstase“ aber wäre die Voraussetzung für ein Leben in Freiheit und „Eigentlichkeit“. So wird die Religion, indem sie die „OK-Welt“ als letztgültige Wirklichkeit bestätigt, schliesslich zum Hindernis für ein freies und „eigentliches“ Leben. Oder umgekehrt gesagt, die Religion fördert den „schlechten Glauben“ und ein Leben in „Uneigentlichkeit“: „Es möge hier genügen, wenn wir erklären, eine religiöse Ordnung wie die unsrige sei sehr dazu angetan, zu einem ‚schlechten Glauben‘ im Sinne Sartres zu verführen. … Die Religion hindert die wirkliche Ekstase. Sie hindert den einzelnen daran, dass er die eingefahrenen Bahnen seines alltäglichen Lebens in der Gesellschaft verlässt und sich selbst in Freiheit sieht. Sie erklärt statt dessen gerade diese eingefahrenen Bahnen für das Richtige, sie heiligt die Werte, nach denen die sozialen Rollen rationalisiert werden, sie tröstet den einzelnen, wenn persönliche Krisen seine gesellschaftliche Anpassung bedrohen. Die ‚OK-Welt‘ ist die Welt der ‚Uneigentlichkeit‘“150ebd., 107

Mit einem „Zwischenspiel“ leitet Berger vom ersten zum zweiten Teil über. Den ersten Teil verstand Berger im Sinne einer neutralen soziologischen Analyse. Er wollte damit „eine gewisse Beziehung zwischen Religion und Gesellschaft in Amerika“ aufzeigen, eine Beziehung, die sich auf den Begriff der „religiösen Ordnung“ bringen lässt. Eine andere Frage ist es jetzt, wie man diese „religiöse Ordnung“ beurteilt. Ist sie gut oder schlecht? Natürlich hängt die Antwort davon ab, wie man die amerikanische Gesellschaft moralisch einschätzt. Sofern man sie nicht in Bausch und Bogen ablehnt, könnte man der „religiösen Ordnung“ gegenüber durchaus positiv eingestellt sein oder doch wenigstens wohlwollend gleichgültig, im Bewusstsein, „dass jede Gesellschaft der integrierenden Symbole be-darf“151ebd., 115

Berger betrachtet die amerikanische Gesellschaft weder als vollkommen noch als in sich schlecht: „Die amerikanische Gesellschaft ist weder ein Paradies noch ein Fegefeuer“152ebd., 113 Dennoch macht Berger sich nicht zum Verteidiger der „religiösen Ordnung“. Warum? Berger stellt eine Gegenfrage, die er auch gleich beantwortet: „Was lässt eine solche Verteidigung unserer religiösen Ordnung eigentlich aus? Und die einfache Antwort darauf kann nur lauten: Sie lässt den christlichen Glauben aus“153ebd., 116 Tatsächlich könnte man die Kirchen „als eine im wesentlichen harmlose Zutat zu einer sozialen Wirklichkeit, mit der wir bereit sind zu leben“154ebd.] akzeptieren. Aber nur unter der Voraussetzung, „dass wir bereit sind, auf den Satz zu verzichten, dass die Kirchen noch irgend etwas mit der Botschaft des Neuen Testaments und dem geschichtlichen Glauben des Christentums zu tun hätten“154ebd. Sofern diese Botschaft und dieser Glaube aber ernst genommen werden, „dann müssen wir die soziale Magie unserer religiösen Institutionen dem schrecklichen Gott aussetzen, der bereits in den frühen und fernen Tagen, als Mose ihm in der Wüste begegnete, sich weigerte, sich für die magischen Zwecke von einzelnen oder Gruppen gebrauchen zu lassen“155ebd., 117 Wenn man sich auf den Glauben an diesen Gott einlässt, dann hat das einschneidende Konsequenzen. Ihnen widmet Berger den zweiten Teil in „Kirche ohne Auftrag“. Er trägt den Titel „Die Aufgabe der Distanzierung“.

2.2.2. Die Aufgabe der Distanzierung

Diese Aufgabe der Distanzierung sieht Berger zunächst einmal als „Aufgabe persönlicher Bekehrung“. Der christliche Glaube, meint Berger, fordere eine „radikale Entscheidung“ für die Wahrheit, die von Gott her kommt: „Wir müssen entscheiden, ob wir an die Wahrheit dieser Botschaft glauben und ob wir die Forderungen, die sie gegenüber unserem Leben erhebt, annehmen wollen“156ebd., 119

Um diese Botschaft annehmen zu können, muss man ihr aber zuerst begegnet sein. Und hier gibt es ein Problem. Es „besteht ganz einfach in der Wirksamkeit, mit der unsere religiöse Ordnung darauf angelegt ist, die Begegnung mit der christlichen Botschaft zu verhindern“157ebd., 120 Indem das etablierte Christentum „christliche Nachfolge“ gleichsetzt „mit gesellschaftlicher Verpflichtung, mit Ansehen, mit der amerikanischen Lebensweise“ erschwert es zumindest die Begegnung mit der christlichen Botschaft158ebd., 121 Der christliche Glaube steht immer in einer Spannung mit der Welt. Seine Annahme setzt daher eine gewisse Loslösung von der „OK-Welt“ voraus: „Wir möchten jedoch auf Grund der Empirie vermuten, dass eine Bekehrung zum christlichen Glauben in unserer Situation immer mit einem Durchbruch durch die sozialpsychologische Zweckhaftigkeit der religiösen Ordnung verbunden sein wird. Wir möchten ferner vermuten, dass dieser Durchbruch sehr wohl mindestens mit einer gewissen Entfremdung gegenüber der ‚OK-Welt‘ der Kultur verbunden sein dürfte“159ebd., 123 Jesus habe zwar auch den Reichen nicht vom Gottesreich ausschliessen wollen: „Aber er sagte doch, dass das Reichsein den Eintritt in dies Reich schwieriger mache. Und auch die Hebräer hätten ihrem Gott doch inmitten der Fleischtöpfe von Ägypten begegnen können. Dennoch führte sie der ihnen gezeigte Weg in die Wüste“160ebd. 128

Die Aufgabe der Distanzierung hat auch für die Theologie ihre Konsequenzen. Eine der Forderungen, die Berger an sie stellt, lautet, „das Nichtmystische, oder sogar noch mehr: das Nichtpsychologische am christlichen Glauben theologisch besonders herauszuarbeiten, da die psychologische Erfahrung zu einer Art von Jedermannsmystik geworden ist“161ebd., 132 Die Auslegung des Alten Testamentes scheint Berger in diesem Zusammenhang noch wichtiger als die des Neuen: „Denn zu dieser Exegese gehört ja gerade die Herausstellung des Äusserlichen bei der biblischen Begegnung mit Gott. Der Gott, dem wir in der Bibel begegnen, ist der Gott der Geschichte, nicht der Gott einer sogenannten religiösen Erfahrung. Er geht hinaus, um den Menschen zu suchen, es ist nicht der Mensch, der seine Seele zu den göttlichen Höhen emporträgt. Auf diesen Höhen findet der Mensch nur 184 die Götzenbilder seiner eigenen Phantasie“162ebd., 134 Berger grenzt den christlichen Glauben strikt ab von innerlicher, „mystischer“ Erfahrung: „Der christliche Glaube ist nicht ein mystischer Pfad in die geheimnisvollen Tiefen unseres eigenen Seins. Der christliche Glaube kann sogar ernsthaft die Frage stellen, ob wir solche Tiefen überhaupt besitzen. Das Geheimnis, auf das er hinweist, ist ein äusserliches. Es liegt in der Geschichte, nicht in der Psychologie. Es sagt uns, dass der Gott, der die fernen Astralnebel schuf, der Gott, der anders ist als alles, was wir uns vorstellen können, zu uns gekommen ist, dass sein Kommen unserem endlichen Dasein einen erlösenden Sinn gibt und dass dieser Sinn im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi zu finden ist“163ebd., 120

Die Begegnung mit diesem Gott kann keinesfalls als „psychologisches Beruhigungsmittel“ wirken und ebenso kann „der christliche Glaube weder für die Gesellschaft noch für den einzelnen je ein Opium sein“164ebd. 133 Ganz im Gegenteil, er wird „soweit er sich selbst treu bleibt, alle ‚OK-Welten‘, in denen die Menschen vor den Schrecken des Daseins Schutz suchen, immer wieder erschüttern. Er wird die Ekstase nicht verhindern; er wird im Gegenteil den Menschen in die radikalste Ekstase, die man sich denken kann, zwingen, nämlich in die Begegnung mit dem lebendigen Gott. Begriffe wie ‚soziale Anpassung‘ oder ‚geistige Gesundheit‘ erscheinen dann im christlichen Bezugssystem als ohne Bedeutung“165ebd.]

Von daher wäre es Aufgabe der Theologie, die „psychologische Religion“ zu kritisieren. Ebenso müsste sich ihre Kritik auf die Religion als „soziale“, als „politische“ und als „Kulturreligion“ richten. Berger würde es beispielsweise als eine zeitgerechte theologische Aufgabe betrachten, “den eschatologischen Charakter des christlichen Glaubens im Gegensatz zur Diesseitigkeit der amerikanischen Religiosität herauszuarbeiten, die Rechtfertigung durch den Glauben der alles durchdringenden Gesetzlichkeit entgegenzusetzen, den Sinn des Kreuzes in einer Kultur, die Erfolg und Glück verherrlicht, deutlich werden zu lassen“165ebd., 138 Für die theologische Kritik an der amerikanischen Wertordnung möchte Berger sogar „mit Nachdruck für eine theologia crucis eintreten“166ebd., 139 Allerdings ist es für Berger am Ende nicht das Kreuz, das im Brennpunkt des christlichen Glaubens steht, sondern die Auferstehung“167ebd.

Die von ihm an die Theologie erhobenen Forderungen sieht Berger zum Teil bereits verwirklicht in einer theologischen Strömung, die unter dem Schlagwort „neoorthodoxe Bewegung“ läuft. Diese Bezeichnung sei zwar nicht eindeutig und könne sehr heterogene Dinge umfassen, denen allen aber ein Element gemeinsam sei, nämlich der neue Versuch, „die christliche Botschaft theologisch zu verstehen“ und die Spannung zur vorherrschenden Kulturreligion wahrzunehmen. Berger verweist auf Namen wie Karl Barth, Niebuhr, Paul Tillich und Dietrich Bonhoeffer168ebd., 141 Allerdings möchte Berger nicht Werbung machen für irgendeine theologische Position. Was die „Neoorthodoxie“ betrifft, muss er „sogar zugeben, dass er mit manchen, die sich selbst neoorthodox nennen, seine Schwierigkeiten gehabt hat, mochten diese Schwierigkeiten nun mit deren geistiger Arroganz, mit der mangelnden Bereitschaft, die empirischen Realitäten sehen zu wollen, oder auch mit der allzu raschen Gleichsetzung der Kirche des Glaubens mit der sozialen Institution gleichen Namens zusammenhängen“169ebd., 142 Nicht um eine bestimmte theologische Position geht es Berger, sondern um die Notwendigkeit theologischen Denkens überhaupt. Es geht darum, „weiteren Bereichen des Protestanismus zunächst einmal klarzumachen, dass Theologie nicht ein esoterischer Zeitvertreib von wunderlichen Intellektuellen sein sollte“170ebd., 142], sondern zur christlichen Kirche gehört. Sie „sollte daher auch ein Anliegen der christlichen Laien sein, des Volkes, des Laos dieser Kirchen“ und nicht gänzlich den Fachleuten überlassen werden, „so begrüssenswert auch deren besondere Gaben sein mögen“170ebd., 142

Mit einem „Postscript über die Nachfolge“ beendet Berger sein Buch. „Nachfolge“, stellt er darin fest, muss sich in jeder gesellschaftlichen Situation neu konkretisieren. Auch in der Schrift gibt es „verschiedene Texte für verschiedene Zeiten. So kann es durchaus sein, dass das ‚biblische Zeugnis‘ für die Zeiten der Verfolgung in jenen Texten liegt, die die Treue des Christen gegenüber den sichtbaren, sozialen Symbolen seines Glaubens unterstreichen. Ein Satz wie ‚extra ecclesiam nulla salus‘ hat einen ganz bestimmten Sinn, wenn Christen als Märtyrer in der Arena sterben; aber dieser Sinn ist ein anderer, wenn die Christen selbst auf den Tribünen sitzen“171ebd., 182 Die Stellung der Religion in Amerika, so wie Berger sie analysiert hat, lässt ihn eine „Entscheidung eher für die prophetischen als für die priesterlichen Zeugen treffen“172ebd. Berger möchte nicht sagen, dass christliches Engagement in der geschilderten Situation „den Rückzug von der organisierten Religion“ unbedingt erfordere. Um Nachfolge zu verwirklichen sei andererseits jedoch auch keine volle Anhängerschaft an die Kirchen nötig. So kann Berger den einfachen Satz aufstellen: „Zugehörigkeit zur organisierten Religion ist eine, aber auch nur eine mögliche christliche Berufung“173ebd., 181. Ganzer Satz hervorgehoben. Es kommt Berger darauf an, „die Art der christlichen Berufung, die ihren Weg ausserhalb der gesellschaftlichen Formen der Ordnung findet, so stark wie nur möglich zu verteidigen“174ebd., 184 Berger möchte sich zwar „auf eine radikale Geste ebensowenig festlegen lassen wie auf eine klerikale“175ebd. Aber er plädiert doch für eine „Haltung der Auflehnung“, sogar für eine „christliche Rebellion“, wobei er seine Hoffnung besonders auf die christlichen Studenten setzt: „Sie haben nicht nur materiell, sondern auch psychologisch weniger zu verlieren. Sie sind noch nicht hauptamtlich Vasallen der Könige dieser Welt geworden, sie haben noch mehr Freiheit, zu sagen, dass diese Könige nackt sind“[ebd., 185[/mfn]

Allerdings sollte die christliche Rebellion zwei wesentliche Eigenschaften aufweisen: „sie sollte frei von Prinzipien und frei von Mythologie sein“176ebd. Was das erste betrifft, so wird eine christliche Ethik „immer die Prinzipien zugunsten der Menschen vernachlässigen“177ebd.], was das zweite angeht, lässt sich die christliche Rebellion nicht von einem Mythos leiten. Vielmehr sollte sie Mythologien durchschauen. Sowohl liberale wie konservative Bewegungen sind von Mythologien geleitet, „die sehr oft nichts anderes als durchdachte und systematische Täuschungen über das Wesen der sozialen Wirklichkeit sind“177ebd., 186 Der Christ durchschaut diese Täuschungen und zwar sowohl die Täuschungen, die den Status quo verherrlichen, wie auch die Täuschungen, die ein künftiges irdisches Paradies proklamieren: „Er wird sich weigern, die gegenwärtige gesellschaftliche Ordnung als letzte Wahrheit anzusehen, und wird jeden derartigen Anspruch als eine Beleidigung Gottes, der allein die letzte Wahrheit ist, ablehnen. … Soweit er seine kritische Haltung durchsteht, wird er sich von der Gesellschaft distanzieren, er wird in ihr, aber nicht von ihr sein, und er wird immer bereit sein, im Gehorsam gegenüber Gottes Befehl aus ihr auszuwandern. Gleichzeitig aber kann der Christ auch nicht die Illusionen über irgendeine zukünftige Ordnung teilen, denen sich ‚Liberale‘ hingeben mögen. Der christliche Glaube hat eine einigermassen pessimistische Auffassung von der menschlichen Natur, und er muss Plänen gegenüber, die auf übertriebenen Erwartungen dessen aufbauen, wessen der Mensch fähig sein könnte, skeptisch bleiben. Der Christ hat ferner seine eigene Eschatologie, und er kann daher mit den synthetischen Eschatologien moderner revolutionärer Weltanschauungen nichts anfangen“178ebd., 186 f

2.3. Religion in „Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft“(1967)

Sechs Jahre nach seinen beiden ersten Büchern veröffentlichte Berger ein weiteres Buch zum Thema Religion: „The Sacred Canopy. Elements of a Sociological Theory of Religion“. Es gehört heute zu seinen wichtigsten Publikationen. Auf deutsch ist es 1973 herausgekommen unter dem Titel „Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft. Elemente einer soziologischen Theorie“. Zu beachten ist, dass es in der Reihenfolge der deutschen Veröffentlichungen erst nach „Auf den Spuren der Engel“ erschienen ist.

„Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft“ gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil entwickelt Berger „systematische Elemente“ einer Soziologie der Religion. Im zweiten Teil – er trägt den Titel „Historische Elemente“ – wendet Berger seine theoretische Perspektive auf das Problem der Religion in der modernen Gesellschaft an und befasst sich dabei eingehend mit dem Prozess der „Säkularisierung“. Der dritte und letzte Teil umfasst zwei Anhänge, deren einer sich mit dem Problem der soziologischen Definition der Religion und der andere mit dem Verhältnis von soziologischer und theologischer Perspektive auseinandersetzt. In unserem Zusammenhang ist vor allem der erste und der dritte Teil von Interesse. – Der erste Teil mit den „systematischen Elementen“ umfasst vier Kapitel: Im ersten beleuchtet Berger die Rolle der Religion bei der „Welterrichtung“, im zweiten bei der „Welterhaltung“. Das dritte Kapitel ist dem Problem der „Theodizee“ gewidmet und im vierten geht es um das Verhältnis von „Religion und Entfremdung“.

2.3.1. Religion und Welterrichtung

„Die Dialektik von Religion und Gesellschaft“ basiert in seinem theoretischen Grundkonzept auf dem Buch „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“. Besonders das erste und das zweite Kapitel seien „eine direkte Anwendung der dort entwickelten Theorie des Wissens auf das Phänomen der Religion“, heisst es im Vorwort179Dialektik, XII

Die Kernthese der wissenssoziologischen Theorie, wie sie von BERGER und LUCKMANN in „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ entfaltet wird, lautet, dass „Wirklichkeit“ eine „gesellschaftliche Konstruktion“ ist, d.h. etwas, das von Menschen in gesellschaftlichen Prozessen produziert und aufrechterhalten wird. Berger-Luckmann gehen in ihrer Theorie von anthropologischen Überlegungen aus. Der Mensch erscheint dabei als ein Lebewesen, das im Gegensatz zum Tier nur eine sehr rudimentäre „Natur“ hat, dieser Begriff verstanden im Sinne einer biologischen Vorprogrammierung. Des Menschen „Existenz wäre, würde sie zurückgeworfen auf ihre rein organismischen Hilfsmittel, ein Dasein im Chaos“180Konstruktion, 54 Was die Natur dem Menschen versagt, muss der Mensch sich selbst schaffen. Er tut es, indem er sich eine sinnvolle Welt errichtet, die ihm jene Ordnung bietet, welche für das menschliche Dasein unentbehrlich ist.

Der Mensch schafft sich seine Welt, indem er handelnd „Sinn“ nach aussen verströmt, indem er sich „externalisiert“. Einmal „externalisiert“ gerinnt dieser Sinn, er „objektiviert“ sich und wird zu einem Faktum, das seinem Produzenten in einer gewissen Eigenständigkeit gegenübertritt. Subjektiv gemeinter Sinn veräusserlicht sich mit anderen Worten zu „objektiver Wirklichkeit“, oder einfach zu „Wirklichkeit“. „Wirklichkeit“ definieren Berger-Luckmann ganz schlicht „als Qualität von Phänomenen …, die ungeachtet unseres Wollens vorhanden sind – wir können sie ver- aber nicht wegwünschen“181ebd., 1 „Objektive Wirklichkeit“ besteht vor allem als eine Struktur von „Institutionen“ und „Rollen“, die dem individuellen Dasein Halt und Richtung geben. Diese „objektive Wirklichkeit“ ist das, was Gesellschaft ausmacht. Nun hat Gesellschaft aber auch eine subjektive Seite. Im Prozess der „Internalisierung” macht der Einzelmensch sich die “objektive Wirklichkeit“ zu seiner eigenen, „subjektiven Wirklichkeit“. Das geschieht im Verlauf der „Sozialisation“, verstanden als ein lebenslanger Vorgang mit verschiedenen Phasen. Erst dadurch, dass der einzelne Mensch sich Gesellschaft als subjektive Wirklichkeit aneignet, kann er überhaupt zum Menschen werden. Der Mensch ist von Natur aus ein gesellschaftliches Wesen, auf Gesellschaft angelegt, und Menschwerdung kann sich nur in Gesellschaft vollziehen. So ist der Mensch nicht nur der Produzent von Gesellschaft, er ist umgekehrt auch das Produkt der Gesellschaft.

So erweist sich Gesellschaft nach Berger-Luckmann als ein Prozess mit drei Komponenten, die in ständiger Wechselwirkung zueinander stehen: der „Externalisierung“, der „Objektivierung“ und der „Internalisierung“. Ihnen entsprechend lässt sich das Gesellschaftsverständnis auf folgende kurze Formel bringen: „Gesellschaft ist ein menschliches Produkt. Gesellschaft ist eine objektive Wirklichkeit. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Produkt“182ebd., 65. Alles hervorgehoben. Da menschliches Handeln Sinnäusserung ist, ist der „Stoff“, aus dem die Gesellschaft besteht, menschlicher „Sinn“183Vgl. Dialektik, 9 Sinn neigt zu Konsistenz. D.h. die Sinnhaftigkeit, die den einzelnen Handlungen innewohnt, hat die Tendenz, sich zu einem Sinnzusammenhang zu integrieren, zu einer „Sinnordnung“184Vgl. Konstruktion, 68. Gegenüber einer struktur-funktionalistischen Sicht der Dinge betonen Berger-Luckmann mit Nachdruck, dass auch diese Sinnordnung ein Resultat menschlicher Reflexion über die institutionale Ordnung ist und nicht etwa aus dieser selbst hervorgeht: „Grösste Vorsicht ist demnach im Hinblick auf alle Behauptungen über die angebliche ‚Logik‘ von Institutionen geboten. Die Logik steckt nicht in den Institutionen und ihrer äusseren Funktionalität, sondern in der Art, in der über sie reflektiert wird. Anders ausgedrückt, das reflektierende Bewusstsein überlagert die institutionale Ordnung mit seiner eigenen Logik” ebd., 68 f. Gesellschaft erscheint damit als eine Gesellschaftsordnung.

Sinn, bzw. die Sinnordnung ist gesellschaftlich vorhanden als „Wissen“. „Wissen“ ist objektivierte Sinnhaftigkeit185Vgl. Konstruktion, 75 Durch das, was eine Gesellschaft „weiss“, überlagert sie die Erfahrung mit einer interpretativen Ordnung. „Wissen“ ist dabei nur zum kleinsten Teil als theoretisches Wissen zu verstehen. Das meiste, was in einer Gesellschaft als „Wissen“ gilt, ist vortheoretisches Wissen, „Allerweltswissen“ oder „Jedermannswissen“. Dieses Wissen bildet, um zu wiederholen, was weiter oben (Seite 12) schon gesagt wurde, „die Bedeutungs- und Sinnstruktur, ohne die es keine menschliche Gesellschäft gäbe“186ebd., 16 Dieses Wissen ist es auch, das „im Mittelpunkt der fundamentalen Dialektik der Gesellschaft“ steht: „Es ‚programmiert‘ die Bahnen, in denen Externalisierung eine objektive Welt produziert. Es objektiviert diese Welt durch Sprache und den ganzen Erkenntnisapparat, der auf Sprache beruht. … Dasselbe Wissen wird als objektiv gültige Wahrheit wiederum während der Sozialisation internalisiert. Wissen über die Gesellschaft ist demnach Verwirklichung im doppelten Sinne des Wortes: Erfassen der objektivierten gesellschaftlichen Wirklichkeit und das ständige Produzieren eben dieser Wirklichkeit in einem“187ebd., 71. „Verwirklichung“ hervorgehoben.

„Wirklichkeit“ kommt nicht nur gesellschaftlich zustande, sie wird auch gesellschaftlich aufrechterhalten. Sowohl als „objektive“ wie als „subjektive Wirklichkeit“ muss sie fortwährend gesellschaftlich „unterhalten“ werden, damit sie ihren Wirklichkeitscharakter bewahren kann. Sie ist mit anderen Worten auf eine sozialpsychologische Trägerstruktur angewiesen, um Bestand zu haben, auf eine „Plausibilitätsstruktur“. Wir haben das ebenfalls weiter oben (Seiten 14 ff) schon gezeigt.

Auf die Grundlage der in „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ entwickelten Gesellschaftstheorie stellt Berger nun in „Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft“ seine Religionstheorie. Religion, sagt er, spielt sowohl bei der „Welterrichtung“ wie auch bei der „Welterhaltung“ eine entscheidende Rolle.

Berger geht dabei aus vom Gedanken der Gesellschaft als einer „Ordnung“. In indirekter Ableitung von Durkheims Begriff der „Anomie“ 214 nennt er diese Ordnung einen „Nomos“188Dialektik, 20, Fussnote 23: „Der Begriff ‚Nomos‘, wie er hier, nicht ganz deckungsgleich mit der üblichen Übersetzung ‚Gesetz‘, verwendet wird, ist indirekt, nämlich durch Umkehrung, abgeleitet von Durkheims Begriff der Anomie.“ Die wichtigste Funktion der Gesellschaft ist nach Berger „Nomisierung“, d.h. „das Setzen verbindlichen Sinns“189ebd., 22 In der gesellschaftlichen Welt leben, heisst „geordnet und sinnvoll leben“190ebd. Umgekehrt beschwört „die radikale Absonderung von der sozialen Welt, die ‚Anomie‘“191ebd.], für das Individuum Gefahr herauf. Sie bedeutet „Weltverlust“ und das Absinken in die Sinnlosigkeit: „Die äusserste Gefahr der Isolierung von der Gesellschaft aber ist der totale Sinnverlust, jener Nachtmahr einer Welt der Unordnung, Sinnlosigkeit und des Wahnwitzes, in den man versinken könnte“191ebd., 23 Der gesellschaftliche Nomos ist demnach ein Schutz vor Wirklichkeitsverlust und dadurch vor Sinnlosigkeit, Schrecken und Chaos: „Gesellschaftlich gesehen, ist Nomos ein den ungeheuren Weiten der Sinnlosigkeit abgerungener Bezirk der Sinnhaftigkeit … Individuell gesehen, ist er die ‚Tagseite‘ des Lebens, auf der man sich, gefährdet genug, den düsteren Schatten der ‚Nacht‘ entgegenstellt. In beiden Perspektiven ist Nomos ein Bau, den Menschen für Menschen angesichts der Übermacht und Undurchschaubarkert des Chaos errichtet haben“192ebd., 24 Besonders augenfällig ist der Schutzcharakter der Gesellschaftsordnung angesichts von „Grenzsituationen“, d.h. von Situationen, in denen der Mensch „bis an die festgelegten Grenzen der Ordnung seines Alltagslebens und dessen Routinen oder sogar darüber hinaus getrieben 220wird“193ebd., 23. Der Ausdruck „Grenzsituation“ stammt von JASPERS. Vgl. ebd., Fussnote 28. Bergers Verwendung des Begriffs ist allerdings von SCHUETZ beeinflusst. Vgl. ebd., 42, Fussnote 17: „Unsere Verwendung des Jaspersschen Begriffes ‚Grenzsituation‘ ist von Schütz beeinflusst, vor allem durch seine Analyse des Verhältnisses zwischen ‚oberster Wirklichkeit‘ des Alltagslebens und dem, was er ‚begrenzte Sinnprovinzen‘ genannt hat.“ – Darauf werden wir bei der Besprechung des Buches „Der Zwang zur Häresie“ zurückkommen. „Grenzsituationen“ – erlebbar etwa in Schlaf- und Wachträumen – „tauchen am Horizont des Bewusstseins auf als der schemenhafte Verdacht, die Welt habe vielleicht doch noch andere Gesichter als ihr ‚normales‘, der Verdacht also, die bislang akzeptierten Definitionen der Wirklichkeit könnten zerbrechen oder gar trügen“194Dialektik, 23

Der gesellschaftliche Nomos erfüllt also für den Menschen eine zutiefst lebenswichtige Funktion. Nun ist dieser „Nomos“ andererseits aber eine menschliche Konstruktion und als solche seinem Wesen nach unstabil, brüchig, stets gefährdet. Er verlangt daher nach Absicherung. Eine seit jeher praktizierte Absicherungsstrategie besteht nach Berger nun darin, „Sinnsetzungen der menschlich konstruierten Welt in das ganze Universum hinein- oder aus ihm herauszulesen“195ebd., 25 Diesen Vorgang bezeichnet Berger mit einem Ausdruck von Mircea ELIADE als „Kosmisierung“196ebd.]: „Kosmisierung impliziert die Gleichsetzung der als sinnvoll gewollten Welt mit der Welt überhaupt, wobei die Menschenwelt in der kosmischen gründet, sie widerspiegelt oder in ihren fundamentalen Strukturen entstanden ist“196ebd., 28 Die Tendenz zur „Kosmisierung“ hat immer bestanden und besteht auch heute noch. Der „bei weitem wichtigste“ Kosmos unserer Zeit, meint Berger, sei jener „der modernen Naturwissenschaft“197ebd. Ursprünglich jedoch und die längste Zeit der Menschheitsgeschichte hindurch war fast jeder Kosmos ein „heiliger Kosmos“198ebd. Und hier nun kommt Berger zur Bedeutung der Religion im Prozess der Welterrichtung: Religion ist für ihn „das Unterfangen des Menschen, einen heiligen Kosmos zu errichten. Anders ausgedrückt: Religion ist Kosmisierung auf heilige Weise“199ebd., 26

Von Rudolf OTTO übernimmt Berger den Begriff des „Heiligen“ und bezeichnet damit „eine numinose, furchterregende Mächtigkeit, die der Mensch anders als sich selbst und doch mit ihm verbunden erlebt und von der er glaubt, sie hause in bestimmten Objekten der Erfahrung“200ebd. Dieses „Heilige“ ist auf einer bestimmten Sinnebene – und damit bezieht sich Berger auf Eliade – der Gegensatz zum „Profanen“ und auf einer anderen, tieferen Sinnebene die Gegenkategorie zum „Chaos“201ebd., 27 Gegen dieses Chaos eben schützt sich der Mensch durch die Errichtung „nomischer Konstruktionen“. Und diese „nomischen Konstruktionen” wiederum sichert er ab, indem er sie heiligt. In ihrer Heiligung erreichen die schützenden Konstruktionen des Menschen ihren Höhepunkt und ihre Vollendung: „Alle nomischen Konstruktionen sind, wie wir gesehen haben, dazu bestimmt, dieses Grauen in Schach zu halten. Aber erst der heilige Kosmos ist der absolute Höhepunkt dieser menschlichen Konstruktionen. Er ist im wortwörtlichen Sinne deren Apotheose“202ebd., 28

Seit jeher hat die Religion „eine strategische Rolle bei der Welterrichtung des Menschen gespielt“203ebd. Die Bedeutung ihrer Rolle resultiert aus dem Versuch der Religion, das ganze Universum in den Dienst des Menschen zu stellen: In der Religion „greift die Externalisierung, d.h. die Selbstentäusserung des Menschen, so weit über ihn hinaus, dass er der Wirklichkeit seine eigenen Sinnsetzungen auferlegt. Religion impliziert die Projektion menschlicher Ordnung in die Totalität des Seienden. Anders gesagt: Religion ist der kühne Versuch, das gesamte Universum auf den Menschen zu beziehen und für ihn zu beanspruchen“204ebd.

2.3.2. Religion und Welterhaltung

Nicht nur bei der „Welterrichtung“ spielt Religion eine entscheidende Rolle, sondern auch bei der „Welterhaltung“, wie Berger im zweiten Kapitel darlegt. Es geht dabei um die Funktion der „Legitimierung“ der Gesellschaft. Die Religion liefert nach Berger die zuverlässigsten „Legitimationen“ der sozialen Welt.

„Legitimation“, bzw. „Legitimierung“ ist „das Erklären und Rechtfertigen einer Gesellschaftsordnung“ und zwar „mittels des in ihr gesellschaftlich objektivierten ‚Wissens‘“205ebd., 29. Vgl. dazu Fussnote 1 auf der gleichen Seite: „Die Ausdrücke ‚Legitimierung‘ und ‚Legitimation‘ stammen von Max Weber; sie werden allerdings hier in einem weiteren Sinne verwandt.” Legitimationen sind also gesellschaftlich verbindlich. Die soziale Funktion von Legitimation besteht in der Integration der Gesellschaft. Durch ihre Erklärungen und Rechtfertigungen der institutionalen Ordnung schafft Legitimation Übereinstimmung in bezug auf das Wesen der Gesellschaft und ermöglicht so übereinstimmendes gesellschaftliches Handeln, was für den Bestand einer Gesellschaft auf die Dauer unerlässliche Voraussetzung ist206Vgl. dazu Konstruktion, 99

Legitimation kennt verschiedene Stufen. An sich ist „alles gesellschaftlich objektivierte ‚Wissen‘ legitimatorisch“207Dialektik, 30. „alles“ hervorgehoben.], auch das vortheoretische Allerweltswissen. Denn dieses liefert den gemeinsamen Bezugsrahmen, der gesellschaftliches Handeln erst ermöglicht. Daneben gibt es aber auch spezifische Legitimationstheorien von unterschiedlichem Grad an Reichweite und Differenziertheit. Auf der höchsten theoretischen Legitimationsebene finden sich dabei „hochtheoretische Gebilde, die den Nomos einer Gesellschaft in toto legitimieren und alle Sonder- und Teillegitimationen zu einer umfassenden Weltanschauung integrieren. Diese allerhöchste Form kann man als den zum Bewusstsein seiner selbst gelangten Nomos einer Gesellschaft bezeichnen“207ebd., 31. „in toto“ und „Weltanschauung“ hervorgehoben.

In „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ werden diese allumfassenden Weltanschauungen bezeichnet als „symbolische 237 Sinnwelten“208Konstruktion, 102 ff Auf der Ebene dieser „Symbolsinnwelten“ „werden alle Ausschnitte der institutionalen Ordnung in ein allumfassendes Bezugssystem integriert, das eine Welt im eigentlichen Sinn begründet, weil jede menschliche Erfahrung nun nurmehr als etwas gedacht werden kann, das innerhalb ihrer stattfindet“209ebd., 103. „alle“, „jede“ und „innerhalb“ hervorgehoben. Die Symbolsinnwelt „ist als die Matrix aller gesellschaftlich objektivierten und subjektiv wirklichen Sinnhaftigkeit zu verstehen. Die ganze Geschichte der Gesellschaft und das ganze Leben des Einzelnen sind Ereignisse innerhalb dieser Sinnwelt“210ebd. „alle“ und „innerhalb“ hervorgehoben. Die Symbolsinnwelt bringt Sinn in den Lauf der Geschichte und den Lebenslauf des Individuums. Von besonderer Bedeutung ist sie aber überall dort, wo – wie etwa bei „Grenzsituationen“ – die „Wirklichkeit“ der sozialen Welt in Frage gestellt wird, beim „Tod“ zum Beispiel. Der Tod ist die „Grenzsituation par excellence“ und stellt „die ärgste Bedrohung für die Gewissheit der Wirklichkeiten des Alltagslebens“ dar211ebd., 108 Die Legitimation des Todes ist daher „eine der wichtigsten Funktionen symbolischer Sinnwelten“212ebd. In ihr enthüllt sich die Fähigkeit der Symbolwelt, „die menschliche Urangst zu mildern“, besonders deutlich213ebd., 109

Symbolische Sinnwelten stellen so etwas dar „wie schützende Dächer über der institutionalen Ordnung und über dem Einzelleben“. Die Symbolsinnwelt „schützt den Menschen vor dem absoluten Grauen, indem sie den schützenden Strukturen der institutionalen Ordnung die absolute Legitimation verleiht“214ebd. Vgl. zum Ausdruck „wie schützende Dächer“ den Titel der amerikanischen Originalausgabe von „Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft“: „The Sacred Canopy“ – „Der heilige Baldachin“ Durch ihre Fähigkeit, sogar „Grenzsituationen“ in ihren den gesellschaftlichen Nomos legitimierenden Bezugsrahmen zu integrieren, garantiert sie der „Wirklichkeit der Alltagswelt“ aber letztlich den Primat als „Wirklichkeit“: „Irrsinn und Grauen“, wie sie sich angesichts von Grenzsituationen einstellen können, „haben ihre Grenzen an der Eingliederung aller vorstellbaren Wirklichkeiten in die eine symbolische Sinnwelt, von der die Wirklichkeit der Alltagswelt umrundet ist. Nur dank dieser schützenden Umarmung behält die Wirklichkeit der Alltagswelt ihre oberste, absolute und, wenn man will, ‚wirklichste‘ Wirklichkeitsqualität“215Konstruktion, 105.

Auch Symbolsinnwelten sind menschliche Produkte und bedürfen ihrerseits wieder der Abstützung. Diese Abstützung findet auf zwei Ebenen statt, auf einer soziostrukturellen und einer theoretischen. Was das erste betrifft, so ist jede Sinnwelt auf eine „gesellschaftliche Organisation“ angewiesen, damit sie in der Gesellschaft wirksam werden kann. Fragen der Macht und der Beziehung zu den Machtträgern spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle216Vgl. dazu ebd., 124 ff. In einer Monopolsituation zum Beispiel besteht zwischen den Verwaltern der monopolistischen Sinnwelttradition und den Inhabern der Macht ein enges Verhältnis und vor allem ein gemeinsames Interesse an der Aufrechterhaltung des Status quo: “Monopolsituationen … setzen einen hohen Grad von Stabilität der Gesellschaftsstruktur voraus und wirken selbst strukturstabilisierend. Traditionelle Wirklichkeitsbestimmungen behindern sozialen Wandel. Umgekehrt beschleunigt der Zusammenhang des Gewissheitscharakters eines Monopols sozialen Wandel. Es sollte danach nicht mehr verwundern, dass zwischen Leuten, die ein Interesse an der Erhaltung etablierter Machtpositionen haben, und dem Personenkreis, der Monopoltraditionen einer Sinnwelt verwaltet, eine grosse Affintiät besteht. Mit anderen Worten: konservative politische Kräfte neigen dazu, die Monopolansprüche der Sinnwelt zu unterstützen, wahrend die Organisationsmonopolisten umgekehrt eine Tendenz zeigen, konservativ zu sein. In der Geschichte waren natürlich die meisten solcher Monopole religiöser Art. Man kann durchaus sagen, dass Kirchen, als Monopolvereinigungen hauptamtlicher Experten einer religiösen Wirklichkeitsbestimmung, von selbst konservativ werden, sobald sie ihr Monopol in einer bestehenden Gesellschaft erfolgreich errichtet haben. Umgekehrt sind herrschende Gruppen mit ihrem Interesse an der Erhaltung des politischen Status quo in ihrer religiösen Orientierung von selbst prokirchlich und – das gehört dazu – gegenüber allen Neuerungen in der religiösen Tradition misstrauisch” ebd. Seite 131 f. „Theoretische Stützkonstruktionen“ werden vor allem dann nötig, wenn die Symbolsinnwelt herausgefordert wird und nun selbst auf Erklärung und Rechtfertigung angewiesen ist. Die legitimierende Reflexion über die Sinnwelt ist „sozusagen Legitimation zweiten Grades“217ebd., 113 Die Symbolsinnwelt selbst stellt ja bereits ein Legitimationssystem dar.

Herausforderungen an die Sinnwelt ergeben sich zum Beispiel dort, wo eine alternative Sinnwelt auftaucht oder die Bewohner einer bestehenden Sinnwelt aus dieser auszuwandern drohen. In solchen Situationen gilt es Strategien zu entwickeln, um die fremde Sinnwelt abzuwehren bzw. die Sinnweltbewohner bei der Stange zu halten. „Therapie“ und „Nihilierung“ sind zwei von ihnen. „Therapie bedient sich einer theoretischen Konzeption, um zu sichern, dass wirkliche oder potentielle Abweichler bei der institutionalisierten Wirklichkeitsbestimmung bleiben. Sie soll mit anderen Worten verhindern, dass ‚Einwohner‘ einer bestehenden Sinnwelt ‚auswandern’“218ebd., 121 Umgekehrt wird „Nihilierung“ angewendet, „um alles, was ausserhalb dieser Sinnwelt steht, mindestens theoretisch zu liquidieren. Man kann eine solches Verfahren auch eine Form von negativer Legitimation nennen. Nihilierung leugnet die Wirklichkeit von Phänomenen (beziehungsweise ihrer Interpretation), die nicht in die betreffende Sinnwelt hineinpassen“219ebd., 123 Das kann beispielsweise dadurch geschehen, dass man die fremden Elemente der eigenen Sinnwelt einverleibt und sie so neutralisiert oder gar in eine Bestätigung der eigenen Sinnwelt ummünzt: „In einem theologischen Bezugssystem wird auf solche Weise demonstriert, dass der Teufel wider Willen Gott die Ehre gibt, dass aller Unglaube nur unbewusste Unehrlichkeit ist, ja, dass noch der Atheist ‚in Wirklichkeit‘ ein Gläubiger ist“220ebd., 124 Wenn die symbolische Sinnwelt „alle Wirklichkeit umfassen soll, so kann nichts ausserhalb ihrer theoretischen Reichweite erlaubt sein. Im Prinzip müssen ihre Wirklichkeitsbestimmungen die Gesamtheit des Lebens umfassen“221ebd. Damit sind aber auch therapeutische und nihilierende Anwendungen theoretischer Konzeptionen „der symbolischen Sinnwelt als solcher inhärent“222ebd.Den eigentlichen Zweck allen Legitimierens kann man demnach erblicken „in der Wahrung und Bewährung der Wirklichkeit auf objektiver 252 und subjektiver Grundlage“223Dialektik, 32

Fragen wir uns jetzt aber, was Religion mit Legitimation zu tun hat. Wo sieht Berger hier eine Beziehung?

Berger stellt zuerst einmal fest, dass das Feld der Legitimationen zweifelsohne viel weiter sei als das der Religion, so wie er sie versteht224Vgl. ebd. Dennoch gäbe es aber „eine wichtige und besondere Beziehung“ zwischen Religion und Legitimation, die darin bestehe, dass Religion seit jeher das am weitesten verbreitete und wirksamste Mittel der Legitimation gewesen sei: „Religion war von jeher das am weitesten verbreitete und das bewährteste Medium für Legitimierung. Jedes Legitimierungsmedium wahrt und bewahrt gesellschaftlich definierte Wirklichkeit. Religion legitimiert so besonders wirkungsvoll, weil sie die ungesicherten Wirklichkeitskonstruktionen ‚wirklicher‘ Gesellschaften mit einer äussersten und obersten Wirklichkeit verknüpft. Das heisst, sie gibt den zerbrechlichen Wirklichkeiten der sozialen Welt das Fundament eines heiligen realissimum, welches per definitionem jenseits der Zufälligkeiten menschlichen Sinnens und Trachtens liegt“225ebd. „realissimum“ und „per definitionem“ hervorgehoben.

Besonders offenkundig ist die legitimatorische Bedeutung der Religion bei „Grenzsituationen“, dort also, wo der Mensch an die Grenzen der Alltagswirklichkeit stösst oder aus der Normalwelt gar heraussteigt: „Charakteristisch für Grenzsituationen ist das Erlebnis der ‚Ekstase‘ (im wörtlichen Sinne von ‚ekstasis‘ als Heraustreten aus der Wirklichkeit, wie sie gewöhnlich definiert wird)“226ebd., 43 Im Tod beispielsweise stösst der Mensch an seine äusserste Grenze. Angesichts des Todes wird das Bedürfnis nach Legitimation besonders drängend: „Wie wichtig Religion für solche Legitimationen ist, liegt auf der Hand“227ebd. Indem die Religion auch „Grenzsituationen“ in ihren Rahmen einer allumfassenden heiligen Wirklichkeit miteinbezieht, hält sie die gesellschaftlich definierte Wirklichkeit aufrecht und „ermöglicht es dem Individuum, das solche Situationen durchmacht, sein Leben in der Welt der Gesellschaft fortzusetzen – nicht, ‚als ob nichts geschehen wäre‘, was bei schwereren Grenzsituationen psychisch kaum möglich ist, sondern im ‚Wissen‘, dass selbst solche Ereignisse oder Erlebnisse ihren Platz in einem sinnvollen Universum haben“228ebd., 43 f

Auch bei kollektiven „Grenzsituationen“ tritt die Religion „schützend in den Vordergrund“229ebd., 44 Besonders wichtig ist religiöse Legitimation dann, wenn eine Gesellschaft ihre Mitglieder dazu bewegen muss, „sich freiwillig in eine äusserste Grenzsituation“ zu begeben, wenn sie zum Beispiel töten oder getötet werden sollen: „Die ‚offizielle‘ Gewaltanwendung, im Kriege oder bei der Todesstrafe, ist daher fast überall von religiöser Symbolik begleitet“230ebd.

2.3.3. Religion und Theodizee

In seinem Konzept der „Theodizee“ stützt sich Berger stark auf Max WEBER, verarbeitet darin aber noch eine ganze Reihe weiterer Gedanken, zum Beispiel den Gedanken des „Masochismus“, wie er sich bei SARTRE findet, etc.231Vgl. dazu: ebd., 52, Fussnote 1 und 54, Fussnote 4 Man müsste aufs Detail eingehen, um Bergers Theodizeeverständnis genau wiederzugeben. Da das im Rahmen dieser Arbeit zu weit führte, fasse ich mich hier kurz.

„Theodizee“ bedeutet nach Berger „die religiöse Legitimation anomischer Phänomene“232ebd., 54], d.h. des Phänomens des Leidens, des Bösen, des Todes und so weiter. Es geht dabei immer um die Verleihung von Sinn. Eine sinnvolle Erklärung verlangt zum Beispiel „auch all das Unheil, das Menschen einander in ihrer gesellschaftlichen Interaktion zufügen“232ebd., 57 Die Theodizee liefert diese Erklärung. Sie hat eine Antwort auf die Frage, weswegen es Reiche und weswegen es Arme gibt, oder anders gesagt, sie „bietet den Armen einen Sinn für ihre Armut und den Reichen einen Sinn für ihren Reichtum“ – mit dem Resultat der „Erhaltung der vorhandenen institutionellen Ordnung“233ebd., 58

Historisch gesehen gibt es verschiedene Typen von Theodizeen. Berger lehnt sich an die Typologie von Weber an, modifiziert sie aber, indem er „ihre Typen in ein rational-irrationales Kontinuum“ einbettet234ebd., Fussnote 11. Vgl. auch: ebd., 52 f, Fussnote 2 Am irrationalen Pol dieses Kontinuums sieht Berger „die einfache, theoretisch unvollkommene Transzendierung des Selbst, die durch vollständige Identifikation mit dem Kollektiv zustande kommt“235ebd., 59 Am andern, dem rationalen Pol „steht der Karma-Samsara-Komplex der indischen Religion“236ebd., 63 Zwischen diesen beiden Polen „liegen viele Typen von Theodizeen, deren Fähigkeit zur Rationalisierung ganz verschieden ist“237ebd., 67 Es finden sich hier zum Beispiel eschatolegische Vorstellungen wie jene des Messianismus oder Chiliasmus, die Vorstellung eines Lebens nach dem Tode oder die Idee einer dualistischen Aufteilung der Welt in Mächte des Guten und Mächte des Bösen, etc. Nach Berger ist die Theodizeeproblematik auch für das Christentum zentral – oder besser gesagt, zentral ist die Lösung die das Christentum auf die Theodizeefrage gefunden hat: „Wir glauben in der Tat, dass die Gestalt des fleischgewordenen Gottes das christliche Grundmotiv ist, trotz all seiner Varianten in der Geschichte des Christentums, und dass sich in ihr das Problem der Theodizee auflöst, insbesondere dessen unerträglicher Druck aus dem Alten Testament. Wie auch die Metaphysik der Inkarnation und ihr Verhältnis zur Erlösung des Menschen von der christlichen Theologie formuliert worden ist, entscheidend ist, dass der fleischgewordene Gott auch der Gott ist, der leidet“238ebd., 74 f. “leidet“ hervorgehoben

2.3.4. Religion und Entfremdung

Den Begriff „Entfremdung“ hat Berger von MARX, verwendet ihn aber, wie so viele andere geliehene Begriffe, auf seine eigene Weise239Vgl. ebd., 83, Fussnote 5] Was „Entfremdung“ ist, wird klar vor dem Hintergrund von Bergers Gesellschaftsauffassung. Gesellschaft ist wie gesagt ein menschliches Produkt, dadurch entstanden, dass der Mensch sich „externalisiert“ und eine sinnhafte Wirklichkeit hervorbringt, die sich dann zu „objektiver Wirklichkeit“ verdichtet. Der Mensch begegnet seinem Produkt als etwas Äusserem. Trotz ihrer Gegenständlichkeit für die menschliche Erfahrung gewinnt die menschliche Welt aber „keinen ontologischen Status, der von jenem menschlichen Tun, aus dem sie hervorgegangen ist, unabhängig wäre“239Konstruktion, 65 Gesellschaft ist und bleibt menschliches Produkt.

Genau dieses Bewusstsein kann dem Menschen aber verlorengehen. Der Mensch kann vergessen, dass er der Schöpfer seiner Welt ist. Er erlebt die Welt in diesem Fall als etwas, das nicht von ihm stammt und unabhängig von ihm besteht, als aussermenschliehe Faktizität. D.h., das wahre Verhältnis zu seinen Hervorbringungen verwischt sich in seinem Bewusstsein. Diesen Zustand nennt Berger „Entfremdung“, bzw. – weil dieser Begriff missverständlich ist240Vgl. ebd., 94, Fussnote 59: „Der Begriff ‚Verdinglichung‘ hängt bei Marx sehr eng mit dem Begriff ‚Entfremdung‘ zusammen, der in der neueren soziologischen Literatur mit einer ganzen Reihe von Phänomenen – z.B. Anomie und Neurose – derart durcheinandergeworfen wurde, dass seine terminologische Eindeutigkeit kaum noch wiederherzustellen ist. Da hier … nicht der Ort für eine solche Reformulierung ist, haben wir den Entfremdungsbegriff ganz vermieden.“ Zur Unterscheidung von „Verdinglichung (reification)“, „Entfremdung (alienation)“, „Vergegenständlichung (objectification)“ und „Versachlichung (objectivation)“ vgl. BERGER und PULLBERG:„Verdinglichung und die soziologische Kritik des Bewusstseins“. 1965 – in „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ „Verdinglichung“: „Verdinglichung bedeutet, menschliche Phänomene aufzufassen, als ob sie Dinge wären, das heisst als ausser- oder gar übermenschlich. Man kann das auch so umschreiben: Verdinglichung ist die Auffassung von menschlichen Produkten, als wären sie etwas anderes als menschliche Produkte: Naturgegebenheiten, Folgen kosmischer Gesetze oder Offenbarungen eines göttlichen Willens“241Konstruktion, 94 f. „als wären“ hervorgehoben Eine verdinglichte Welt ist eine „entmenschlichte“, „enthumanisierte“ Welt, dieser Begriff in dem Sinn verstanden, dass ihr Charakter als einer fortwährenden menschlichen Leistung nicht mehr sichtbar ist: „Eine verdinglichte Welt ist per definitionem eine enthumanisierte Welt. Der Mensch erlebt sie als fremde Faktizität, ein opus alienum, über das er keine Kontrolle hat, nicht als das opus proprium seiner eigenen produktiven Leistung“242ebd., 95 „Verdinglichung“ schaltet das Bewusstsein aus, „dass die gesellschaftliche Welt, wie auch immer objektiviert, von Menschen gemacht ist – und deshalb neu von ihnen gemacht werden kann“243ebd. Die verdinglichte Welt präsentiert sich dem Bewusstsein anders gesagt „als nicht humanisierbare, starre Faktizität“244ebd.], als unausweichliches Schicksal und unabänderliche Notwendigkeit. Selbst als verdinglichte Welt ist und bleibt die Welt aber menschliches Gemächte: „Noch wenn der Mensch die Welt als Verdinglichung erlebt, lässt er nicht davon ab, sie zu schaffen. Das bedeutet: der Mensch ist paradoxerweise dazu fähig, eine Wirklichkeit hervorzubringen, die ihn verleugnet“244ebd., 96

„Verdinglichung“ kann sich auf alles erstrecken, was der Mensch geschaffen hat, auf die Welt als umfassende Sinnstruktur ebenso wie auf alle Erscheinungen in ihr – so zum Beispiel auch auf die sozialen „Rollen“. Wo das der Fall ist, wird jener Teil der Selbstvorstellung, den die Rolle verdinglicht, „als unvermeidliches Geschick angesehen, für das der Einzelne jede Verantwortung ablehnen kann. Die Modellformel für diese Art der Verdinglichung lautet: ‚Ich habe in diesem Falle keine Wahl. Ich muss in meiner Stellung so handeln‘ – als Gatte, Vater, General, Erzbischof, Präsident irgendeines Vorstandes, Gangster, Henker, was auch immer. Das bedeutet, dass durch die Verdinglichung von Rollen die subjektive Distanz verringert wird, die der Mensch zwischen sich und sein Rollenspiel legen kann“245ebd., 97

Nach Berger nun ist die Religion „eine besonders wichtige Spielart falschen Bewusstseins“246Dialektik, 85 Religion bindet, wie wir gesehen haben, die menschlich konstruierte Wirklichkeit an die oberste Wirklichkeit des „Heiligen“. Dieses „Heilige“ ist für den Menschen das „Ganz Andere“: „Verglichen mit dem normalen, profanen menschlichen Leben ist es totaliter aliter. Genau diese Andersheit ist das Herzstück religiöser Ehrfurcht, der Scheu vor dem Numinosen, der Anbetung dessen, was alle Dimensionen des Nur-Menschlichen übersteigt“247ebd., „totaliter aliter“ hervorgehoben Genau diese „Andersheit“ wird aber auch zum Grund der „Entfremdung“. Religiöse Sinngebilde sind objektivierte Projektionen. Sofern diesen Sinngebilden aber „eine überwältigende Andersheit innewohnt“, kann man sie „als entfremdete Projektionen bezeichnen“248ebd., 87. „entfremdete Projektionen“ hervorgehoben Religion neigt dazu, „dem Menschlichen ein Fremdes gegenüberzustellen“. Damit tendiert sie aber „ipso facto dazu, den Menschen auch sich selbst zu entfremden“249ebd., „ipso facto“ hervorgehoben Religiöse Legitimierung verwandelt die menschlich produzierte Welt in eine über- oder aussermenschliche Faktizität, die der Mensch nicht mehr als sein Werk, sein opus proprium wahrnimmt, sondern als opus alienum250Vgl. ebd., 84 Anders gesagt, sie tendiert dazu, „das Bewusstsein des Menschen über jenen Teil des Universums zu täuschen, der durch sein eigenes Handeln Gestalt annahm – die soziokulturelle Welt“251ebd., 88 Diese Verfälschung lässt sich – wiederum lehnt Berger sich an einen Ausdruck von MARX an – bezeichnen als „Mystifikation“. Das bedeutet: „Die soziokulturelle Welt, ein Gebäude aus menschlicher Sinnsetzung, wird mit Geheimnissen überdacht, deren Ursprung als nicht-menschlich postuliert wird“252ebd. Der Schleier religiöser Mystifikation hindert den Menschen daran, sein eigenes Werk als solches zu erfassen.

Religion breitet ihren mystifizierenden Schleier über Institutionen ebenso wie über Rollen aus. Was letztere betrifft, kommt Berger wieder auf das Konzept der „mauvaise foi“ zu sprechen253Vgl. ebd., 90 Wichtig ist ihm dabei die Feststellung, dass „dieses Phänomen subjektiver Entfremdung“ keinesfalls mit Anomie verwechselt werden dürfe: „Im Gegenteil, ‚mauvaise foi‘ kann ein höchst wirksamer Schutz gegen Anomie sein. Wenn die falsche Einheit des Bewusstseins einmal entstanden ist und plausibel bleibt, ist sie wahrscheinlich sogar eine innere Kraftquelle. Ambivalenzen sind beseitigt; Möglichkeiten werden zu Gewissheiten. Es gibt keinerlei Zaudern vor Verhaltensalternativen mehr. … ‚Mauvaise foi‘ kennt keinerlei Aufruhr des Herzens oder ‚schlechtes Gewissen‘“254ebd., 91 f

Eine entfremdete Welt ist eine sichere Welt, und die Religion macht die Welt sicher – dadurch, dass sie sie dem Menschen entfremdet. Sicherheitsstiftende und entfremdende Wirkung der Religion gehören nach Berger innerlich zusammen: „Religion hat deshalb soviel nomisierende Mächtigkeit entfalten können, weil sie eine grosse, vielleicht die grösste Kraft zum Entfremden besitzt“255ebd., 85 Dieser ihrer Kraft der Entfremdung, meint Berger, sei in hohem Masse „der historische Anteil der Religion an der Welterrichtung und Welterhaltung des Menschen“ zuzuschreiben256ebd., 87

Allerdings möchte Berger „nicht in das Extrem verfallen, Religion mit Entfremdung gleichzusetzen“257ebd., „gleichzusetzen“ hervorgehoben Es gibt auch Fälle, wo Religion sich gerade gegenteilig auswirkt, als Legitimation von „Ent-Entfremdung“: „Obwohl alle Religion also die inhärente (und theoretisch höchst einleuchtende) Tendenz zur Legitimierung von Entfremdung zeigt, hat sie in bestimmten Fällen in der Geschichte auch eine Aufhebung der Entfremdung legitimiert. Die Tatsache, dass dies, bezogen auf ihre allgemeine Tendenz, ziemlich selten vorkommt, mindert nicht seine theoretische Bedeutung“258ebd., 94

Die ent-entfremdende Wirkung der Religion beruht nach Berger auf der gleichen Voraussetzung wie die entfremdende, nämlich darauf, dass Religion die Welt in der Perspektive einer anderen, höheren, absoluten Wirklichkeit sieht: „Religion sieht Institutionen sub specie aeternitatis“259ebd., „sub specie aeternitatis“ hervorgehoben Genau in dieser Ewigkeitsperspektive liegt die Möglichkeit der Religion, die Menschenwelt und ihre Gebilde auch radikal zu relativieren. Berger verweist dazu auf die Weltkonzeption der Upanishaden mit ihrem Gedanken des Brahman-Atman als der letzten Wirklichkeit, angesichts deren die empirische Welt bloss noch als Illusion, „maya“, gilt260Vgl. ebd. Auch die Mystik birgt, wie Berger meint, eine ent-entfremdende Tendenz: „Mit ihrer totalen Geringschätzung nicht nur des Wertes, sondern auch des Wirklichkeitsstatus der empirischen Welt besitzt auch die religiöse Mystik die Macht, Entfremdung aufzuheben. Der Mystiker relativiert diese Welt und alle ihre Werke einschliesslich ‚gewöhnlicher‘ religiöser Betätigung“261ebd., 95

Auch die biblische Tradition bezeichnet Berger als Beispiel für die ent-entfremdende Wirkung der Religion. Hier ist es der Gedanke des radikal transzendenten Gottes, in dem die Relativierung der Menschenwelt und damit die Aufhebung von Entfremdung beschlossen liegen: „In der biblischen Überlieferung wurde die Gesellschaftsordnung durch die Konfrontation mit der Majestät des transzendenten Gottes derartig relativiert, dass man tatsächlich von Aufhebung der Entfremdung sprechen kann – in dem Sinne, dass sich vor dem Antlitz Gottes Institutionen als nichts denn Menschenwerk ohne inhärente Heiligkeit und Unsterblichkeit entpuppen“262ebd., 96. “Menschenwerk” hervorgehoben Der Gott der Bibel ist ein Gott, „der ausserhalb des Kosmos seiner eigenen Schöpfung steht“263ebd., 112. “ausserhalb” hervorgehoben. – Es geht insbesondere den Gott des Alten Testamentes. Er hat die Welt zwar geschaffen, aber er ist „in diese seine Schöpfung nicht eingegangen, sondern ist ihr Gegenüber“264ebd. Gott lässt sich mit keinem Phänomen seiner Schöpfung identifizieren. Er bleibt ganz Gott, und die Welt bleibt ganz Welt. Die Welt ist ein profanes Feld, dem Menschen zur Gestaltung aufgegeben265Vgl. dazu einen Gedanken, den Berger bereits in „The Precaious Vision“ äussert. Berger stellt fest, dass Gott nach der Schöpfungslehre zwar Himmel und Erde und den Menschen, nicht aber die Gesellschaft geschaffen habe. Letzteres ist einzig und allein Aufgabe des Menschen: „God created the heavens and the earth. And then He created man. He did not create society. The latter achievement belongs entirely to man’s own ingenuity“ (Seite 194).] Durch die ganze biblische Tradition zieht sich eine Tendenz, die Berger mit Max WEBER als „Entzauberung der Welt“ bezeichnet265Vgl. Dialektik, 96, bzw. 108. – Auch von der „Entzauberung der Welt“ spricht Berger übrigens bereits in „The Precarious Vision“. Auf Seite 177 führt er dazu ein Zitat Webers aus „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ an: “That great historic process in the development of religions, the elimination of magic from the world which had begun with the old Hebrew prophets and, in conjunction with Hellenistic scientific thought, had repudiated all magical means to salvation as superstition and sin, came here [im Protestantismus) to its logical conclusions.” – Zum Begriff der „Entzauberung der Welt“ siehe auch den Aufsatz von Max WEBER: „Wissenschaft als Beruf“ (1919) – zu finden in: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. 4. Aufl., hrg. v. J. Winckelmann. Tübingen 1973. „Entzauberung“ ist nach Weber eine Folge der Rationalisierung und Intellektualisierung des Verhältnisses zur Welt: „Die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung bedeutet also nicht eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon oder den Glauben daran: dass man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, dass es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Nicht mehr, wie der Wilde, für den es solche Mächte gab, muss man zu magischen Mitteln greifen, um die Geister zu beherrschen oder zu erbitten. Sondern technische Mittel und Berechnung leisten das“ (Seite 594) Diese „Entzauberung“, meint er, „steht in direkter Beziehung zur totalen Transzendentalisierung Gottes und kommt in klassischer Weise bei den Propheten zum Ausdruck, um dann in vielerlei Form in den 299 drei grossen Religionen biblischer Nachfolge fortzuleben“266Dialektik, 96 Dem Entzauberungsmotiv ist es zu verdanken, „dass Revolutionäre sich immer wieder auf biblische Überlieferung berufen können und sich gegen ihre (natürlich auch immer wieder vorkommende) Benützung für konservative Legitimierungszwecke wenden“267ebd.

So lässt sich zusammenfassend also sagen, dass Religion die Welt dem Menschen entfremdet – weil sie sie „sub specie aeternitatis“ sieht. Aber eben weil sie sie „sub specie aeternitatis“ sieht, kann sie umgekehrt auch die Aufhebung von Entfremdung zur Folge haben. Religion kann mit anderen Worten in der Geschichte sowohl als welterhaltende wie auch als welterschütternde Macht auftreten268Vg. ebd. 97

2.3.5. Zur Frage soziologischer Religionsdefinitionen

Berger fügt seinem Buch zwei Anhangskapitel an, in deren erstem er einen knappen Überblick über soziologische Religionsdefinitionen gibt und seine eigene Definition begründet269ebd., 165 ff. – Was das Definitionsproblem betrifft, vgl. z.D. auch: Roland ROBERTSON: Einführung in die Religionssoziologie. München 1973. beso. S. 48 ff.

Wie „überall im Bereich soziologischer Analyse“ besteht auch bei der Religion die „Alternative zwischen substantialer und funktionaler Definition“270Dialektik, 166 Berger entscheidet sich, indem er das „Heilige“ als konstitutiven Bestandteil seines Religionsverständnisses betrachtet, für eine „substantiale“ Religionsdefinition.

An sich, sagt er, wäre zwar eine funktionale Definition der Religion – d.h. eine Definition, die Religion ohne Rücksicht auf ihre konkreten Inhalte und Formen rein von ihrer gesellschaftlichen Funktion her bestimmt – soziologisch sauberer als eine substantiale. Jedenfalls ermöglicht sie „eine eindeutig soziologische, also ‚unverfälschte‘ und ‚reine‘ Untersuchung“271ebd. Für Berger die „überzeugendste und entschiedenste Definition der Religion im gesellschaftlich funktionalen Sinne ist die von Thomas Luckmann“272ebd. Für LUCKMANN ist Religion dasselbe wie „symbolische Selbst-Transzendierung“: „Das Wesentliche an seiner Definition der Religion ist die Fähigkeit des menschlichen Organismus, seine biologische Natur in der Konstruktion objektiver, moralisch zwingender, allumfassender Sinnwelten zu überschreiten“273ebd., 167 Luckmanns Religionsverständnis beruht auf spezifischen anthropologischen Voraussetzungen, wie sie sich in „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ dargelegt finden. Diese Voraussetzungen teilt Berger „ohne Einschränkung“, was ja in der gemeinsamen Verfasserschaft des genannten Buches zum Ausdruck kommt, in dem sie, wie Berger feststellt, aus begreiflichen Gründen ihre Meinungsverschiedenheiten über die Definition der Religion ausser acht gelassen hätten274Vgl. ebd.

Dennoch hält Berger die Brauchbarkeit der Religionsdefinition von Luckmann für fraglich. Denn es gibt, wie er sagt, ja „sehr verschiedene Formen der Selbst-Transzendierung mit den dazugehörigen symbolischen Sinnwelten, auch wenn die anthropologische Herkunft identisch ist“275ebd. Wenn man aber jede Symbolsinnwelt unter den Religionsbegriff subsumiert, zum Beispiel auch „die moderne Naturwissenschaft eine Form von Religion nennt“, dann muss man von neuem wiederum definieren, auf welche Weise sich die so verstandene „Religion“ von dem unterscheidet, „was alle anderen Leute Religion nennen, einschliesslich der Religionswissenschaftler – die ihrerseits Definitionsprobleme haben“276ebd., 168. “Religionswissenschaftler” hervorgehoben

So scheint es Berger schliesslich einfacher zu sein, wenn er mit einer substantialen Religionsdefinition arbeitet. Er hat daher einen „heiligen Kosmos“ postuliert. Zwar sei sein Weg der gedanklich konservativere, meint Berger, doch ermögliche er seiner Ansicht nach „weniger komplizierte Unterscheidungen zwischen empirisch zuhandenen Kosmoi“277ebd.

2.3.6. Soziologie und das Problem der Relativität

Im zweiten Anhangskapitel kommt Berger auf das Problem der Relativität zu sprechen, das sich aus der soziologischen Analyse der Religion ergibt. Auf dieses Problem bin ich bereits im ersten Kapitel meiner Arbeit eingegangen (siehe Seite 17 ff). Ich kann mich hier auf die Feststellung beschränken, dass Berger das Relativitätsproblem, bzw. dessen Bewältigung, als vorrangige Aufgabe der Theologie betrachtet. Es wurde auch schon angepackt, auf ganz verschiedene Weise.

Da gibt es nach Berger auf der einen Seite die „orthodoxe theologische Position“. Sie ignoriert die Relativitätsfrage meistens „‚unschuldig‘ oder, je nachdem, auch in mauvaise foi“278ebd., 173. „mauvaise foi“ hervorgehoben. – Zum Begriff der „unschuldigen“ Orthodoxie bzw. deren Gegenteil vgl. z.B. auch „Der Zwang zur Häresie“, Seite 111: „Die neo-orthodoxe Geistesverfassung leugnet durch einen Willensakt die moderne Situation, zumindest insoweit, als sie die Tragweite ihrer kognitiven Herausforderungen in Abrede stellt. Anders gesagt, für den Orthodoxen ist bisher noch nichts geschehen, wohingegen der Neo-Orthodoxe so tut, als ob nichts geschehen wäre. Oder noch anders gesagt, der Orthodoxe hält an der Tradition weiterhin ‚unschuldig‘ fest, während der Neo-Orthodoxe diese ‚Unschuld‘ verloren hat und somit gezwungen ist, die Tradition in einem den Geist nicht selten überstrapazierenden Bemühen zu bekräftigen“. – Vgl. ferner auch „Welt der Reichen – Welt der Armen“, Seite 225: „Sowie sich jemand einer Wahlmöglichkeit bewusst ist, fällt es ihm schwer, so zu tun, als seien seine Entscheidungen eine Sache der Notwendigkeit. Ganz deutlich wird das bei allen Bewegungen zur Erhaltung oder Wiederbelebung von Traditionellem, denen man das Präfix ‚Neo‘ voransetzen kann. So mag eine ‚nativistische‘ Bewegung leidenschaftlich die Überlegenheit der alten Lebensformen behaupten, doch eben die Leidenschaft der Behauptung enthüllt ihre innere Unsicherheit. Der von der Modernisierung unberührte Traditionalist wird das Neue in der Haltung selbstsicherer Überlegenheit ablehnen. Der ‚Neo‘-Traditionalist wird den Akt der Ablehnung in der sehr anderen Haltung des Zorns und der Abwehr vollziehen: weil für ihn das Neue eine Versuchung ist. Und es gibt, wie es scheint, keinen Weg zurück zur alten Sicherheit.“ – Dieselbe Feststellung kann man auch bei anderen Autoren finden, z.B. bei Alan W. WATTS, der in seinem Buch „Weisheit des ungesicherten Lebens“ (3. Aufl. 1981) unterscheidet zwischen einem Glauben und einem „Glauben an den Glauben“: „Aus diesem Grunde hat die derzeitige Rückkehr mancher intellektueller Kreise zur Orthodoxie (das Buch kam erstmals 1951 heraus) in vielen Fällen einen recht hohlen Klang. So vieles ist dabei mehr ein Glauben an den Glauben, als ein Glaube an Gott. Der Kontrast zwischen den unsicheren neurotischen, gelehrten ‚Modernen‘ und der ruhigen Würde, dem inneren Frieden des Gläubigen vom alten Schlage, lässt einen den letzteren beneiden” (Seite 18). – Auf seine Art sagt dasselbe auch George ORWELL im Diogenesbändchen „Denken mit Orwell“ auf Seite 29: „Der Unterschied zwischen einem Katholiken, der einfach glaubt, und einem Konvertiten, der immerzu seine Bekehrung rechtfertigen muss, ist wie der Unterschied zwischen Buddha und einem Schaubudenfakir.“ Hier stellt sich die Frage der Relativität noch nicht – oder scheinbar noch nicht. Auf der anderen Seite des theologischen Spektrums stellt sich die Relativitätsfrage nicht mehr: „Der extreme theologische Liberalismus andererseits, der sich heute ‚radikale Theologie‘ nennt, hat die Suche nach Antwort aufgegeben“279Dialektik, 173 Zwischen diesen beiden Extremen liegt nach Berger „der interessante Versuch der Neo-Orthodoxie, das Kind mit dem Bade auszuschütten und zu behalten, das heisst, sich dem Relativismus voll auszusetzen, aber am ‚Archimedischen Punkt‘ in einer Sphäre, die immun gegen ihn ist“280ebd., 174 Besonders interessant an diesem Versuch sei „die Unterscheidung zwischen ‚Religion‘ und ‚Christentum‘ oder ‚Religion‘ und ‚Glaube‘“. Aufgrund dieser Unterscheidung kann „‚Religion‘ .. freudig dem Zerberus der relativierenden Analyse (des Historikers, des Soziologen usw.) zum Frasse vorgeworfen werden, während der Theologe mit dem ‚Christentum‘ befasst ist, das nicht ‚Religion‘ ist, und deshalb 314 in ungestörter ‚Objektivität‘ weiter arbeiten kann“281ebd.

Berger weist darauf hin, dass er selbst in seinem Buch „The Precarious Vision“ eine solche Unterscheidung zwischen ‚Religion‘ und ‚christlichem Glauben‘ getroffen habe und „zumindest in diesem Punkt der Neo-Orthodoxie“ nahegestanden sei. Heute jedoch halte er „diese Unterscheidung und ihre Konsequenzen für völlig unzulässig“. Sie lasse sich im Rahmen einer empirischen Disziplin nicht aufrechterhalten. Denn: „Man kann mit demselben analytischen Rüstzeug (der Geschichtswissenschaft, der Soziologie usw.) an ‚Religion‘ und ‚Glaube‘ herangehen. In jeder empirischen Disziplin ist ‚Glaube‘ lediglich eine andere Seite des Phänomens ‚Religion‘“. Empirisch sei diese Unterscheidung sinnlos. – Man könne „sie nur als theologisches a priori postulieren“, wozu er selbst indessen nicht imstande sei: „Ich für meinen Teil kann mit theologischen a prioris nicht dienen und bin deshalb gezwungen, eine Unterscheidung aufzugeben, die sich als a posteriori sinnlos erweist“282Vgl. zum ganzen Abschnitt ebd., 174 fh

Dem Christentum kann kein privilegierter Status eingeräumt werden, der es „vor relativierender Analyse bewahrt“283ebd., 175 Wie jede andere Religion müssen auch das Christentum und seine verschiedenen historischen Formen „als religiöse Projektionen ähnlich anderen religiösen Projektionen verstanden werden, als Projektionen, die auf bestimmten Infrastrukturen gründen und subjektiv wirklich sind durch spezifische Prozesse der Plausibilitätserzeugung“284ebd. Wenn man diese Erkenntnis wirklich ernst nehme, meint Berger, könne man sich keiner der erwähnten Lösungsmöglichkeiten einfach mehr anschliessen, weder der „neoorthodoxen“ noch der „radikalen“ bzw. neoliberalen. Was aber bleibt dann noch? Berger sieht es so: „Meiner Meinung nach bleibt .. nichts anderes übrig, als das Glaubensgut der Religion mit Hilfe eigener kognitiver Kriterien (die nicht unbedingt die eines angeblich ‚modernen Bewusstseins‘ sein müssen) Stück für Stück und Schritt für Schritt zu prüfen und neuzubewerten“285ebd., “nicht” hervorgehoben

Diese Einschätzung der Situation führt Berger dazu, für eine Rückkehr „zum Geist des klassischen liberalen Protestantismus“ zu plädieren286ebd. Liberale Theologie verlangt, „dass man die Geschichtlichkeit der Religion sehr ernst nimmt“ und man dadurch ipso facto auch „den Charakter der Religion als eines menschlichen Produkts ernst nimmt“287ebd., 176 Das muss nach Berger der Ausgangspunkt jeder Theologie sein heute. Erst wenn der Theologe sich dem Relativitätsproblem ernsthaft gestellt hat, kann er legitimerweise noch von einer Wirklichkeit sprechen, die über den Menschen hinausreicht – erst dann kann er mit anderen Worten die Frage nach Transzendenz stellen: „Erst wenn der Theologe sich der geschichtlichen Relativität der Religion stellt, kann er genuin fragen, wo in dieser Geschichte es vielleicht möglich ist, von Entdeckungen zu sprechen – d.h. Entdeckungen, die die Relativität ihrer Infrastrukturen transzendieren. Und erst wenn er wirklich begriffen hat, was es bedeutet zu sagen, Religion sei ein menschliches Produkt oder eine Projektion, kann er innerhalb dieses Projektionsrahmens beginnen, nach Signalen von Transzendenz Ausschau zu halten“288eba., “Entdeckungen” und “innerhalb” hervorgehoben Berger vermutet stark, dass die Suche nach Transzendenz sich dabei „zunehmend von den Projektionen dem Projektor zuwendet, d.h. Anthropologie wird“289ebd. Die Theologie sollte sich anders gesagt stärker „empirisch“ ausrichten. Eine „empirische Theologie“ könne es zwar, wie Berger meint, nicht geben; das ist methodologisch unmöglich: – „Doch eine Theologie, die im Gleichschritt mit den empirisch gesicherten Aussagen 323 über den Menschen vorgeht, wäre eines ernsthaften Versuchs wert“290ebd. Berger selbst unternimmt einen solchen Versuch in seinem nächsten Buch, „Auf den Spuren der Engel“.

2.4. Religion in „Auf den Spuren der Engel“ (1969)

„Auf den Spuren der Engel“ ist sozusagen das Fortsetzungsbuch von „Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft“. Im Original trägt es den Titel „A Rumor of Angels; Modern Society and the Rediscovery of the Supernatural“. Auf deutsch ist es, wie gesagt, vor „Zur Dialektik“ herausgekommen, nämlich 1970. Sein deutscher Untertitel lautet „Die moderne Gesellschaft und die Wiederentdeckung der Transzendenz“.

Im Vorwort äussert Berger seine Sorge darüber, dass die Analyse der religiösen Situation, wie er sie in „Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft“ vorgenommen hat, leicht „als ein Wink zur Selbstaufgabe an die Adresse der Religion verstanden bzw. missverstanden werden“ könnte291Engel, 10 Diesem Missverständnis will er mit dem neuen Buch begegnen. Es handelt „von der Möglichkeit theologischen Denkens in unserer Zeit“ und stellt sich die Frage, „ob man heute überhaupt noch theologisch denken kann und soll – und wenn ja, dann wie“292ebd., 9 Bei der ersten Frage stellt Berger eine positive Antwort in Aussicht, die sich, wie er meint, „auf soziologische Fakten und Argumente stützen“ könne293ebd. Was die zweite Frage betrifft, sei „die Soziologie dann allerdings, wenn überhaupt, nur von geringem Nutzen“294ebd. Um sie zu beantworten, könne er sich „nicht hinter die Autorität des Soziologen verschanzen“328, sondern müsse sich auf ein Risiko einlassen – das Risiko der Theologie. Was Berger damit meint, habe ich bereits weiter oben gesagt (S. 21).

In „Auf den Spuren der Engel“ geht es Berger darum, das theologische Programm, das er am Ende von „Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft“ postuliert hat, einzulösen. D.h. er macht sich auf die „Spuren der Engel“ und hält nach „Signalen der Transzendenz“ Ausschau, und zwar, indem er von alltäglichen menschlichen Erfahrungen ausgeht. Er macht mit anderen Worten den Versuch einer „empirischen Theologie“, bzw. will auf einem „induktiven“ Weg zu einem religiösen Glauben gelangen.

„Auf den Spuren der Engel” umfasst fünf Kapitel, die ich im folgenden kurz durchgehe, immer im Hinblick auf meine Frage, wie Berger „Religion“ versteht. Im ersten Kapitel mit dem Titel „Das Ende der Transzendenz?“ – zu beachten ist das Fragezeichen – geht Berger von einer Zeitdiagnose aus, die die Religion als im Widerspruch zur modernen Welt und zum modernen Bewusstsein betrachtet. Mit „Religion“ ist dabei im Kern der Glaube an ein „Übernatürliches“, an eine „Transzendenz“ gemeint. Berger ist sich der Problematik dieses Begriffes bewusst, ist aber dennoch der Ansicht, das Wort „übernatürlich“ treffe, „vor allem in seiner alltäglichen Bedeutung, eine fundamentale Kategorie der Religion: nämlich die Überzeugung oder den Glauben, dass es eine andere Wirklichkeit gibt, und zwar eine von absoluter Bedeutung für den Menschen, welche die Wirklichkeit unseres Alltags transzendiert“295ebd., 14. “eine andere Wirklichkeit” hervorgehoben Berger verweist auf Rudolf OTTOs Buch „Das Heilige“, wo „in noch heute gültiger Form“ versucht werde, „das ‚Anderssein‘ des religiösen Erlebens zu beschreiben“296ebd., 15

Dieses „Übernatürliche“ ist es, das nach gängiger Zeitdiagnose „Abschied von der modernen Welt genommen“ hat297ebd., 13 Berger bestätigt diese Diagnose weitgehend, obwohl das Angebot an empirischen Beweisen für die These von der Abdankung der Transzendenz, wie er meint, „nicht gerade überwältigend“ sei298ebd., 17]: „Wie dem auch sei, aufgrund der vorhandenen Unterlagen ist die These von der Abdankung der Transzendenz oder mindestens vom Nachlassen ihrer Wirkungskraft durchaus annehmbar. … Wie immer die Vergangenheit gewesen sein mag – heute ist Transzendenz als sinnhafte Wirklichkeit, die auch zur Alltagswelt gehört, für die Mehrheit der Gesellschaft nicht mehr vorhanden oder in unerreichbare Fernen entrückt. Die Menschen scheinen ganz gut ohne sie auszukommen“298ebd., 19. „heute“ und „auch“ (zur Alltagswelt…) hervorgehoben

Im folgenden zeigt Berger, wie die Vertreter der Religion auf dieses Faktum reagieren, bzw. mit ihm umgehen können. Sie haben nach Berger die Wahl zwischen zwei Strategien: zwischen Widerstand und Anpassung. Entweder können sie sich gegen den modernen, transzendenzvergessenen, säkularen Zeitgeist wehren, ihm Widerstand leisten und sich dazu möglicherweise als „kognitive Minderheit“ in eine Subgesellschaft, ein Getto, zurückziehen und sich als Sekte organisieren299Vg1. dazu: ebd., 19 ; 35 f. Zum Begriff „kognitive Minderheit“ vgl. auch: BERGER: „Zur Soziologie kognitiver Minderheiten“ 1969. (Eine Kritik dazu bei: Leo LAEYENDECKER, siehe Fussnote 5 der vorliegenden Arbeit). Oder sie können die religiöse Tradition so aufbereiten, dass sie auch dem säkularisierten Bewusstsein wieder zusagt, bzw. zugemutet werden kann. D.h., die herkömmlichen religiösen Vorstellungen müssen in die Bezugsrahmen moderner, säkularer Weltauffassungen und -anschauungen „übersetzt“ werden300Vgl. dazu: ebd., 27 ; 38 f. – Nach Berger liegt in dieser säkularisierenden Übersetzungsstrategie die Formel für die Selbstliquidation der Theologie, bzw. des Christentums. Siehe dazu etwa Engel, 39 f: „Warum sollte man eigentlich Psychotherapie oder Rassensfriedensparolen noch in christlicher Verpackung kaufen, wenn man sie um die Ecke in weltlicher haben kann, die immerhin doch noch ein bisschen mehr à la mode [hervorgehoben] ist. Wahrscheinlich spricht die christliche Firmierung nur Leute an, die noch sentimental genug sind, an alten Symbolen zu hangen. Aber gerade dieses Häuflein schmilzt unter der Sonne der säkularisierten Theologie rapide zusammen. Symbole ohne Inhalt sind nicht gefragt. Sie überzeugen nicht mehr… Strenggenommen bedeutet sie [die von der säkularen Theologie praktizierte Kapitulation vor dem säkularen Bewusstsein] nichts anderes als die Selbstaufgabe der Theologie und all jener Institutionen, in denen sich die religiöse Überlieferung bisher verkörpert hat.“ – Vgl. zum gleichen auch: BERGER: „Soziologische Betrachtungen über die Zukunft der Religion“. 1971. beso. 60 f.], „ – mit dem Ergebnis einer immer weiter um sich greifenden Demontage des transzendentalen Gehalts in der christlichen Überlieferung“, welche im Extremfall so weit gehen kann, „dass von Religion nichts als hohle Rhetorik übrigbleibt“300Engel, 25 Als typisch für die erste Strategie betrachtet Berger den Katholizismus bis zum Zweiten Vatikanum301ebd., 28 f Die zweite Strategie sieht er im Protestantismus praktiziert, vor allem von der liberalen protestantischen Theologie, wie sie im 19. Jahrhundert bis hin zum Ersten Weltkrieg dominierte und dann nach dem Zweiten Weltkrieg wiederauflebte in der „radikalen“ und der „säkularen“ Theologie302eba., 24 ff. – Der säkularisierten Theologie, bzw. deren wissenssoziologischer Lokalisierung, widmet sich Berger z.B. auch in folgenden Artikeln: „A Sociological View of the Secularization of Theology“. 1967. und „Secular Theology and the Rejection of the Supernatural“. 1977.

Im zweiten Kapitel verteidigt Berger den Glauben an Transzendenz, indem er die Kräfte, die diesen Glauben relativieren, ihrerseits wieder relativiert. Wie er dabei argumentiert, habe ich im ersten Kapitel meiner Arbeit kurz referiert (siehe Seite 20). Die Quintessenz des Kapitels lautet etwa, dass es trotz der allgemeinen Säkularisierung und trotz der Herausforderungen, die das religiöse, bzw. theologische Denken durch die empirischen Wissenschaften, besonders durch die Soziologie, erfährt, auch heute noch möglich und sinnvoll ist, am Glauben an Transzendenz festzuhalten. An der Theologie läge es dabei, diesen Glauben neu zu begründen. Die Theologie sollte zu diesem Zweck ausgehen vom Wesen des Menschen und genuin menschlichen Erfahrungen. Damit sei nicht etwa die Forderung nach einer „empirischen Theologie“, einer logischen Unmöglichkeit, gestellt. Fordern aber möchte Berger „eine Theologie mit grossem Spürsinn für das Empirische, die ihre Lehren in Übereinstimmung mit dem bringen kann, was empirisch fassbar ist“303Engel, 74 Und was diesen methodologischen Punkt betrifft, möchte Berger auch wieder zurückgehen „zu gewissen Grundlagen des liberalen Protestantismus“304ebd. Er hofft dabei aber, dass die Theologie nicht wie jener „noch einmal vor den ‚Gebildeten unter den Verächtern der Religion‘ und vor all den Utopien, die diese uns beschert haben, die Waffen streckt“305ebd.

Im dritten Kapitel mit der Überschrift „Neue Wege der Theologie: Am Anfang ist der Mensch“, exerziert Berger vor, was er mit seinem empirisch-anthropologischen Ansatz meint. Falls es das Übernatürliche gibt, muss es seiner Meinung nach irgendwo und irgendwann durchscheinen. Das ist die Voraussetzung, von der aus Berger sich auf die Suche nach „Zeichen der Transzendenz“ macht. Unter diesem Begriff versteht er „Phänomene der ‚natürlichen‘ Wirklichkeit, die über diese hinauszuweisen scheinen“306ebd., 79 Berger glaubt nun, „dass es prototypisch menschliches Verhalten gibt, Gebaren, Gebärden, Gesten, die als solche Zeichen anzusehen sind“307ebd., „prototypisch menschliches Verhalten“ hervorgehoben Er selbst nimmt in seinem Buch fünf solcher Gebaren und Gebärden genauer unter die Lupe und betrachtet sie als „Argumente“ für den Glauben an eine transzendente Wirklichkeit.

Da ist einmal der menschliche „Hang zur Ordnung“308ebd., 80 Dem Menschen eigen ist der Glaube an eine Ordnung – „Ordnung“ nicht unbedingt im Sinne einer konkreten, soziohistorisch relativen Ordnung verstanden – sondern „der Glaube an Ordnung als solche, ein Glaube, der dem fundamentalen Wirklichkeitsvertrauen des Menschen eng benachbart ist“309ebd., 81 Dieser Drang des Menschen nach Ordnung gründet sich nach Berger auf das Vertrauen, „dass die Wirklichkeit letztlich ‚in Ordnung’, ‚schon recht‘, ‚so wie es sein soll‘ ist“310ebd. Empirisch lässt dieses Urvertrauen sich nicht testen. Allein seine Existenz anzunehmen beruht schon auf einem Glaubensakt, einem Akt also, „der die empirische Sphäre transzendiert“311ebd. Aus der Möglichkeit, den Schritt „vom einfachen, in der empirischen Sphären ruhenden Vertrauen“ hin zu diesem Glaubensakt zu machen, leitet Berger das „Argument der Ordnung“ ab312ebd.]

Als zweites nennt Berger „das Argument des Spiels“312ebd., 86 – 90 Spiel ist „immer eine Enklave in der ‚ernsten‘ Alltagswelt der Gesellschaft“. Wenn man spielt „steigt man aus einer Zeit und begibt sich in eine andere“313ebd., 86 Aber das geschieht mitten im Alltag, nicht in irgendwelchen „mystischen Randzonen des Daseins“314ebd., 89 Das Erlebnis der Spielfreude „gehört ganz konkret zur gewöhnlichen Alltagswelt. In deren erlebter Wirklichkeit ist es jedoch wie ein Signal, ein Zeichen der Transzendenz“315ebd.

Weitere „Zeichen der Transzendenz“ sind nach Berger die Fähigkeit des Menschen zur „Hoffnung“316ebd., 90 – 95] und zur „Verdammnis“ menschlicher Ungerechtigkeit und Bosheit316ebd., 95 – 100

Schliesslich nennt Berger das „Argument des Humors“317ebd., 100 – 104 Das Wesen des Komischen bestehe, wie Berger meint, immer in irgendeiner Diskrepanz, Inkongruenz, Inkommensurabilität. Die Grunddiskrepanz, von der sich alle anderen Diskrepanzen ableiten, aber ist „die zwischen dem Menschen und dem Universum. Diese Diskrepanz erst macht das Komische zu einem spezifisch menschlichen Phänomen und den Humor zu einem Wesenszug des Menschen. Das Komische ist eine Spiegelung der Gefangenschaft des Geistes in der Welt“318eba., 101. „Diese“ (Diskrepanz…) und „Das Komische ist…“ hervorgehoben Humor erkennt diese Gefangenschaft des Geistes in der Welt und offenbart – indem er über sie lacht und lachen macht – deren Endlichkeit und damit die Möglichkeit, sie zu überwinden. So erweist auch der Humor sich als ein „Zeichen der Transzendenz“319Vgl. ebd., 102

Spezifisch „innerreligiöse Erlebnisse der Transzendenz (Wunder, Visionen, Stigmata usw.)320ebd., 104] erwähnt Berger keine. Absichtlich nicht. Denn er wolle, wie er sagt, „gerade Möglichkeiten für die Theologie zeigen, die von jedermanns Erfahrung ausgehen“, wohingegen mystische „und andere vermeintlich oder vermutlich übernatürliche Erlebnisse nun einmal nicht jedermanns Sache, sondern vielmehr per definitionem esoterisch“ seien320ebd., „per definitionem“ hervorgehoben Zum Schluss des Kapitels widmet sich Berger noch einmal den Begriffen „natürlich“ und „übernatürlich“. Er stellt sie in den Zusammenhang von Alfred SCHUETZ’ Modell vom Aufbau der Wirklichkeit, das unterscheidet zwischen einer „obersten“ Wirklichkeit, der Wirklichkeit der Alltagswelt, und verschiedenen dunklen Randzonen, in denen die normale Welt der Gewissheit in Frage gestellt ist. Nahezu jede Gesellschaft habe, bemerkt Berger, diese dunklen Randzonen bisher mindestens zur Kenntnis genommen und sie auf die eine oder andere Weise mit der „obersten Wirklichkeit“ der Alltagswelt zu verbinden versucht. Nach Berger heisst das: „Fast alle historischen Gesellschaften haben sich für das Metaphysische offengehalten“321ebd., 107 Doch heutzutage würden in den modernen, säkularisierten Gesellschaften eben diese dunkeln Seiten der Wirklichkeit ignoriert: „Die moderne Gesellschaft hat die Nacht bis zur Grenze des Möglichen aus dem Bewusstsein verbannt“322ebd. Für Berger ist das „eine der erstaunlichsten Folgen der Säkularisierung“323ebd. In der Lebenspraxis zeigt sich diese Verdrängung der Nachtseiten aus dem Alltagsleben „besonders krass daran, was man in Amerika, aber auch anderswo, der Würde des Todes antut“324ebd. Auch auf der Ebene der Reflexion sind die metaphysischen Fragen „heute mit sieben Siegeln verschlossen“. Fragen wie: „‚Was ist der Sinn meines Lebens?‘ – ‚Warum muss ich sterben?‘ – ‚Wer bin ich?‘ –das alles sind Fragen, die heute nicht nur praktisch ausser Kurs sind, sondern auch philosophisch als bedeutungslos fallengelassen werden“325ebd., 107 f Auch auf philosophischem Gebiet schwingt Banalität das Szepter: „Die Wirklichkeit eines älteren Geschäftsmanns, der träge sein Mittagessen verdaut, das ist … der Status, der heutzutage mit totaler philosophischer Relevanz ausgestattet wird“, spottet Berger326ebd., 108. – Berger gebraucht diesen Vergleich auch in seinem Artikel „Cakes for the Queen of Heaven: 2500 Years of Religious Ecstasy“. 1974. Seite 202. Dort sagt er auch von wem er ihn hat: „It was G.K. Chesterton, as I recall, who observed that modernity has given ultimate authority to the world view of a slightly sleepy businessman right after lunch.“

Der Ausschluss der metaphysischen Dimensionen des menschlichen Lebens kommt nach Berger „einer grossen Verarmung“ gleich: „Denn sowohl das tägliche Leben als auch das theoretische Denken verdanken ihren Reichtum zum grössten Teil der Fähigkeit zur Ekstase“327Engel, 108 Berger meint mit diesem Begriff „nichts Mystisches, sondern jenes Heraustreten aus den Gewissheitsstrukturen der Alltagswelt .. , jene Offenheit für das Numinose, das uns von allen Seiten umgibt“328ebd. Die ekstatischen und metaphysischen Dimensionen des Lebens gilt es wieder zu entdecken. Berger versteht seine theologische Methode dabei als einen Beitrag im Dienste dieser Wiederentdeckung: „Eine theologische Methode, wie ich sie hier skizzenhaft angedeutet habe, trägt zur Wiederentdeckung von Ekstase und Metaphysik als Dimensionen des Menschen bei und gewinnt dadurch dem Denken und der Erfahrung verlorene Reiche zurück“329ebd.

Im vierten Kapitel legt Berger seine Sicht des Verhältnisses zur Tradition dar.

Seine Kritik an den Banalitäten des säkularisierten Bewusstseins und dessen Legitimierung durch die sogenannte „radikale“ Theologie will Berger durchaus nicht aufgefasst wissen als „heimliche Aufforderung, sich schutzsuchend in die ‚feste Burg‘ der Traditionen zu flüchten“330ebd., 109 Im Gegenteil, seine von ihm vorgeschlagene Methode verlange „der Tradition gegenüber ein ziemliches Mass an Seltständigkeit“331ebd., 110 Berger erachtet es indessen als notwendig, die Tradition ernst zu nehmen und sich mit ihr zu befassen. Auch sein eigener empirisch-anthropologischer Ansatz schliesst eine Beschäftigung mit der Tradition nicht aus, sondern legt sie vielmehr nahe. Denn sofern man „jede Epoche ‚unmittelbar zu Gott‘“ sieht, wie das Berger tut, „so muss auch jede Epoche gewissenhaft daraufhin geprüft werden, welche möglicherweise einzigartigen Spuren der Transzendenz in ihr zu finden sind“332ebd., 113 Diese Überlegung führt dann aber auch dazu, „dass man sich als Theologe nicht mit der Geschichte der eigenen Religion begnügen darf“333ebd. Religionsgeschichte kann man heutzutage „nur in ökumenischem Bewusstsein treiben“334ebd.], und zwar in einem ökumenischen Bewusstsein, das die ganze Mannigfaltigkeit menschlicher Religiosität berücksichtigt: „Für theologischen Ethnozentrismus gibt es jedenfalls keine Entschuldigung mehr“334ebd., 114 Dabei ist die Forderung nach einem grossökumenischen Bewusstsein nicht misszuverstehen als Aufmunterung zu einer Vermischung der verschiedenen Religionen. Bergers Vorschlag zielt nicht auf „ein interkulturelles Kauderwelsch, eine Art frommes Esperanto“, sondern im Gegenteil auf „eine Klärung zwischen entgegengesetzten Standpunkten“335ebd., 115 Denn: „Nur wenn man weiss, was zur Wahl steht, kann man wählen und die getroffene Wahl als Entscheidungsmöglichkeit gelten lassen“336ebd., „Entscheidungsmöglichkeit“ hervorgehoben

Berger gibt danach einige Hinweise dazu, wie er sich den Umgang mit seiner, der christlichen Tradition, vorstellt. Er tritt dabei ein für ein theologisch selektives, ein – wie er es nennt – „häretisches“ Vorgehen. Das bedeutet, dass er an einigen Bestandteilen des Überlieferungsgutes, so wie sie überliefert sind, festhalten, andere dagegen aus ihrem traditionellen Rahmen lösen und neu formulieren möchte337Vgl. ebd., 124

Verteidigen will Berger – „adversus modernes“ und das säkularisierte Bewusstsein – unbedingt den Gottesbegriff, „der im alten Israel entstanden und im Alten Testament auf uns gekommen ist“338ebd., „adversus modernes“ hervorgehoben. Eigentlich steht da “adversos”. Doch muss das ein Druckfehler sein. Bei diesem Gottesbegriff, glaubt Berger, könne man „mit voller Überzeugung von einer Entdeckung Gottes sprechen“. Der von Israel entdeckte Gott „war ein nie dagewesenes Ereignis in der religiösen Vorstellungswelt des Nahen Ostens jener Zeit“339ebd., „Entdeckung Gottes“ hervorgehoben Es ist ein Gott, der ganz ausserhalb des Menschen und der Welt steht, trotz seiner Jenseitigkeit und Andersheit mit dem Menschen jedoch in Beziehung tritt und sich vor allem manifestiert in historischen Ereignissen und überwältigenden sittlichen Forderungen an den Menschen. Die Gotteskonzeption der Bibel steht in scharfem Kontrast zu jeder religiösen Doktrin oder Praktik, „die Göttliches und Menschliches als Einheit sieht“ und das Heil „in möglichen Tiefen des menschlichen Bewusstseins“ sucht: „Der Gott der Bibel ist der Gegenpol zur grossen Identität der Mystik in allen ihren Varianten“340ebd., 125

Auch „Christus“ erachtet Berger als eine „Entdeckung“, wobei er als das Bindeglied zwischen der Entdeckung Gottes und jener Christi „das unendlich schwierige Problem der Theodizee“ sieht341ebd., 126 Durch die alttestamentliche Gottesvorstellung hat sich das Theodizeeproblem, d.h. die Frage nach dem Sinn von Leiden und Übel, zugespitzt: „Die Entdeckung des einen allmächtigen und allgütigen Schöpfers der Welt und Herrn der Geschichte musste die Frage seiner Rechtfertigung, das Problem der Theodizee, in aller Schärfe aufwerfen“342ebd., 127 Berger betrachtet „die gesamte Christologie im Grunde für eine Antwort auf dieses Problem“343ebd. In Christus wird Gott für den Menschen erlebbar „nicht nur als das allgewaltige Gegenüber seiner Welt, sondern auch als die leidende Liebe, die in seiner Welt zugegen ist. Dieses In-der-Welt-Sein Gottes rechtfertigt die Schöpfung und stiftet Übereinstimmung zwischen seiner Allmacht und seiner Allgüte. Und es gibt dem Leiden einen Sinn in der Hoffnung auf Erlösung“344ebd., 127 f In Christus wird für den Glauben die Gegenwart der Erlösung hier und jetzt fassbar.

Es steht für Berger ausser Zweifel, dass diese „neue Vorstellung von Gottes Beziehung zum Menschen im Zusammenhang mit Ereignissen im Leben Jesu entstanden ist“345ebd., 128 Aber – und jetzt wird Berger häretisch – er bezweifelt, „dass die Entdeckung des Erlösers als erlösende Gegenwart Gottes in der Welt ausschliesslich an die Figur des historischen Jesus geknüpft werden muss“346ebd., 129 Mit anderen Worten ist nach Berger die erlösende Gegenwart Gottes in der Welt nicht „ein für allemal an die historischen Ereignisse fixiert, von denen das Neue Testament berichtet“347ebd. Berger kommt nicht umhin, als sich der Behauptung, „dass die Menschheit nur ‚in diesem Namen‘ Jesus Christus erlöst werde, zu widersetzen“348ebd. Wenngleich Christus einen „Namen“ gehabt habe, sei er doch mit keinem Namen identisch349ebd.

Diese Überlegungen haben ihre Konsequenzen auch für die Art und Weise, wie Berger die christliche Gemeinde versteht. Gemeinden, in denen Christus manifest wird, dürfen nach Berger weder auf einen „Namen“ noch auf eine Überlieferung festgelegt werden. Beweis für die erlösende Gegenwart Christi in einer Gemeinde ist nicht die richtige Tradition, sondern die richtige Praxis: „Nur wenn eine Gemeinde in ihrer Wirklichkeit Taten vollbringt, die seinen Stempel tragen, d.h. heilende, erlösende Taten, ist er anwesend. Die erlösende Gemeinschaft des Erlösers kann zu jeder Zeit in der Geschichte Wirklichkeit sein. Und wo immer im Leben die Erlösungsgebärden der Liebe, der Hoffnung und des Mitleids vorkommen, 890 ist sie implizit da“350ebd., 130

Berger ist sich bewusst, dass seine Gedanken und Behauptungen, wie er sie in „Auf den Spuren der Engel“ liefert, einer viel breiteren theologischen Absicherung bedürften. Er klagt sich daher der „schrecklichen Vereinfachung“ an, richtet zugleich aber an die Theologie die Frage: „Könnte es aber nicht sein, dass in der Theologie eine gewisse Vereinfachung längst überfällig wäre?“351ebd.]; eine Vereinfachung, die nicht verstanden werden soll als Ignoranz, „sondern als Anstrengung, zu den Grundfragen zu gelangen“351ebd., 131

Im letzten Kapitel kommt Berger noch einmal auf die moderne, säkularisierte Welt zurück. Sie stellt nach ihm eine Situation dar, „in der das Übernatürliche allenfalls noch ein Gerücht, eine verwehte, wenn nicht versteinerte Spur ist“352ebd., 133 Diese Situation ist jedoch kein „unerbittliches Faktum“, von dem man sich „tyrannisieren“ lassen müsste. Auch wenn die „Zeichen der Transzendenz“ nur Spuren seien, lohne es sich, ihnen nachzugehen353Vgl. ebd. Die Wiederentdeckung der Transzendenz bringt nach Berger einen mehrfachen Gewinn. Sie hat unter anderem auch eine moralische und politische Bedeutung: „Der grösste moralische Segen der Religion ist, dass man, auf sie gestützt, die Zeit, in der man lebt, aus einer Perspektive sehen kann, die den Tag und die Stunde transzendiert und ihnen die richtige Grössenordnung zumisst. Das gibt Mut und ist zugleich auch ein Schutz gegen Fanatismus“354ebd., 134

2.5. Religion in „Against the World for the World“ (1976)

Das Buch trägt den Untertitel „The Hartford Appeal and the Future of American Religion“. Es ist eine Sammlung von Beiträgen verschiedener Autoren zum „Hartford Appeal for Theological Affirmation“. Berger ist, zusammen mit Richard NEUHAUS355Richard NEUHAUS ist ein alter Vertrauter von Berger. Zur Zeit, als das Buch geschrieben wurde, war er Pastor an der „Church of St. John the Evangelist“ in Brooklyn, N.Y. Mit Neuhaus zusammen hat Berger auch das Buch „Protestbewegung und Revolution“ verfasst. Während Berger darin den konservativen Standpunkt darlegt, vertritt Neuhaus einen „radikalen“ – bei uns würde man sagen, einen „linken“ – Standpunkt., der Herausgeber des Buches. Ich berücksichtige das Buch hier, weil sich in ihm theologische Statements finden, die auch Berger unterschrieben hat, ja, die sogar deutlich seine Handschrift tragen.

Was ist dieser „Hartford Appeal“? Der „Hartford Appeal“ ist eine Art Manifest, in dem achtzehn amerikanische Theologen und religiöse Denker verschiedener konfessioneller Provenienz sich in dreizehn Thesen gegen bestimmte Auffassungen wenden, die heute im christlichen Denken weit verbreitet sind und die sie für falsch halten.

Der „Hartford Appeal“ entsprang einer Idee von Peter Berger und Richard Neuhaus. Nach vielen gemeinsamen Gesprächen fassten die beiden 1974 den Entschluss, einmal all jene Vorstellungen und Ansichten aufzulisten, von denen sie glaubten, dass sie den christlichen Glauben und dessen Einfluss in der Gesellschaft untergrüben. Ihren Entwurf schickten sie anschliessend in eine Art Vernehmlassung bei etwa zwei Dutzend Theologen und religiösen Denkern. Im Januar 1975 kam man in Hartford, Connecticut, zusammen, um die Thesen zu diskutieren. Bei diesem Anlass wurde auch eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, eben jener Appell – „An Appeal for Theological Affirmation“ .

Der Appell stiess in einer breiteren Öffentlichkeit auf ein über Erwarten grosses Echo und löste in Amerika und Europa sowohl Reaktionen der Zustimmung wie der Ablehnung aus. Die Kritiker stuften ihn etwa ein „as a resurgence of the Protestant principle, as a counterattack by ecclesiastical reactionaries, as part and parcel of a right-wing wave in America“356BERGER-NEUHAUS (ed.): Against the World for the World. The Hartford Appeal and the Future of American Religion. 1976.Im folgenden bezeichnet als „Against the World“. Seite 8 Auf Seiten der Befürworter wurde er begrüsst mit zum Teil erleichtertem Aufschnaufen darüber, dass „somebody finally said what needed to be said“357ebd., Vorwort IX

Im September 1975 traf sich die Gruppe noch einmal zu einer Nachbearbeitung. Daraus ist das Buch „Against the World for the World“ entstanden, zu dem auch Berger einen Beitrag geliefert hat mit dem Titel „For a World with Windows: Hartford in Sociocultural Context“. Die Gedanken, die er darin äussert, finden sich im wesentlichen auch wieder in „Der Zwang zur Häresie“. Ich werde sie dort – soweit für mein Thema einschlägig – referieren. Hier möchte ich mich mit einer Zusammenfassung jener dreizehn Thesen begnügen, deren Text ebenfalls in „Against the World for the World“ abgedruckt ist358ebd., 1 – 7

„An Appeal for Theological Affirmation“ beginnt mit einer Einleitung, in der folgende Feststellung getroffen wird: „Today an apparent loss of a sense of the transcendent is undermining the Church’s ability to address with clarity and courage the urgent tasks to which God calls it in the world“359ebd., 1 Dieser Verlust des Sinns für Transzendenz manifestiert sich in bestimmten, allgemeinen-verbreiteten Meinungen – „themes“ –360Ich weiss nicht, ob die Autoren bei der Wahl dieses Ausdrucks nicht etwa den Begriff „Anathem“ im Hinterkopf gehabt haben. Einen Sinn jedenfalls gäbe es. „Theme“ wäre demnach einfach eine positive Formulierung dessen, was es mit dem Bannstrahl zu belegen gilt. Ich referiere die „themes“ im folgenden zum Teil im Lichte dieser meiner Deutung.], welche die Unterzeichner des Appells als irrig und das kirchliche Leben aufweichend betrachten: „… we find these themes false and debilitating to the 402 Church’s life and work“360Against the World, 1 Es sind dreizehn solcher „Themen“. Sie werden in einem kurzen Satz formuliert und in einem nachfolgenden Kommentar „widerlegt“. Gehen wir sie kurz durch:

Beim ERSTEN Thema wenden sich die Unterzeichner des Appells gegen die irrige Meinung, das moderne Bewusstsein sei allen vorhergehenden Bewusstseinsformen überlegen und deshalb für christliches Glauben und Leben normativ361ebd., 1 : „Modern thought is superior to all past forms of understanding reality, and is therefore normative for Christian Das ZWEITE „Anathem“ verwirft die falsche Vorstellung, religiöse Aussagen hätten mit einem vernunftmässigen Diskurs nichts zu tun362ebd., 2 : „Religious statements are totally independent of reasonable discourse.“ Als DRITTES wird der Irrtum zurückgewiesen, religiöse Sprache beziehe sich einzig auf Erfahrungen des Menschen und auf nichts anderes sonst, und Gott sei des Menschen edelste Erfindung363eba. : „Religious language refers to human experience and nothing else, God being humanity’s noblest creation.” Zwar sei Religion ein Komplex von Symbolen und Projektionen, die vom Menschen stammen. Das stimmt zweifelsohne. Abzulehnen ist indessen die Ansicht, Religion sei nichts als das. Für den Glauben ist das Verhältnis von Projektion und Projektor sogar umgekehrt: „We did not invent God; God invented us“364ebd., hervorgehoben Der VIERTE Bannstrahl – wenn man so sagen darf – trifft das Missverständnis, Jesus könne nur im Lichte zeitgenössischer Modelle der Humanität richtig verstanden werden365eba. : „Jesus can only be understood in terms of contemporary models of humanity.“ Beim FÜNFTEN Punkt wird der Auffassung widersprochen, alle Religionen seien gleichermassen gültig und die Wahl zwischen ihnen sei lediglich eine Sache persönlicher Vorlieben oder des Lebensstils, nicht aber eine Frage der Wahrheit366ebd., 3 : „All religions are equally valid; the choice among them is not a matter of conviction about truth but only of personal preference or life style. Das SECHSTE Anathem erteilt jener Ansicht eine Absage, die die Bedeutung von Heil einzig in der Verwirklichung der eigenen Möglichkeiten und der Treue zu sich selbst sieht367ebd . : „To realize one’s potential and to be true to oneself is the whole meaning of salvation.“ Die Unterzeichner bekräftigen dieser Auffassung gegenüber, „that salvation cannot be found apart from God“368ebd. SIEBTENS wehrt sich die Unterzeichnergruppe gegen den Irrtum, dass das Böse sich angemessen verstehen lasse als Defizit in der Verwirklichung von Möglichkeiten369eba. : „Since what is human is good, evil can adequately be understood as failure to realize potential.“ Das Böse ist eine Realität. ACHTENS wird der falschen Meinung widersprochen, einziger Zweck von Kult und Gottesdienst sei die Förderung individueller Selbstverwirklichung und menschlicher Gemeinschaft370ebd. : „The sole purpose of worship is to promote individual self-realization and human community.“ Diese Werte würden zwar auch gefördert, doch sei Gottesdienst „above all a response to the reality of God and arises out of the fundamental need and desire to know, love, and adore God“371ebd. Die NEUNTE Berichtigung wendet sich gegen eine Einstellung, die Institutionen und Traditionen als unterdrückend und echtem Menschsein feindlich betrachtet und die als notwendige Voraussetzung für ein eigentliches Dasein und echte Religion die Befreiung von den Institutionen und Traditionen als unerlässlich ansieht372ebd., 3f: „Institutions and historical traditions are oppressive and inimical to our being truly human; liberation from them is required for authentic existence and authentic religion.“ Traditionen und Institutionen seien zwar vielfach unterdrückend und müssten daher ununterbrochen der Kritik ausgesetzt werden. Indessen sei menschliche Gemeinschaft auf Gedeih und Verderben auf Institutionen und Traditionen angewiesen. Ohne sie verkäme das Leben in Chaos und neuen Formen der Knechtschaft. Das moderne Streben nach Befreiung von allen sozialen und historischen Zwängen sei letzten Endes „entmenschlichend“373ebd., 4 Beim ZEHNTEN Punkt wird die Ansicht zurückgewiesen, die Welt müsse für die Kirche das Programm bestimmen – „The world must set the agenda for the Church“ – ; d.h. normativ für die Sendung der Kirche in der Welt seien soziale, politische und ökonomische Vorhaben zur Verbesserung der Lebensqualität374ebd.,: „The world must set the agenda for the Church. Social, political, and economic programs to improve the quality of life are ultimately normative for the Church’s mission in the world.“ Tatsächlich müsse die Kirche die Unterdrücker brandmarken, den Unterdrückten zur Befreiung verhelfen und menschliches Elend zu heilen sich bemühen. Und dabei werde es gelegentlich gentlich auch zu Überschneidungen von kirchlichem und weltlichem Programm kommen. Letzte Norm für das Handeln der Kirche sei aber nicht das, was die Welt von der Kirche wolle, sondern was Gott von der Welt will. Im ELFTEN „Anathem“ beziehen die Unterzeichner Stellung gegen die Ansicht, ein Beharren auf der Transzendenz Gottes sei hinderlich oder gar unvereinbar mit christlichem Engagement in der und für die Gesellschaft375eba.: „An emphasis on God’s transcendence is at least a hindrance to, and perhaps incompatible with, Christian social concern and action.“ Aus biblischer Perspektive sei es gerade das Vertrauen auf Gottes Herrschaft in allen Aspekten des Lebens, das die Christen dazu drängt, voll teilzunehmen am Kampf gegen unterdrückende und entmenschlichende Strukturen. ZWÖLFTENS wird die Meinung verworfen, der Kampf für eine bessere Welt sei dazu angetan, das Reich Gottes herbeizuführen376ebd., 5 : „The struggle for a better humanity will bring about the Kingdom of God.“ Der Kampf für eine bessere Welt sei für den christlichen Glauben zwar wesentlich und könne sich auf die biblische Verheissung des Reiches Gottes abstützen – aber: „But imperfect human beings cannot create a perfect society. The Kingdom of God surpasses any conceivable utopia. God has his own designs which confront ours, surprising us with judgement and redemption“377ebd. Als DREIZEHNTES und letztes „pervasive, false and debilitating theme“378Vgl. ebd., VII f] nehmen die Verfasser des Appells Abstand von der Auffassung, die Frage der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode sei irrelevant oder bestenfalls nebensächlich für das christliche Verständnis menschlicher Erfüllung378ebd., 5 : „The question of hope beyond death is irrelevant or at best marginal to the Christian understanding of human fulfillment.“ Dies sei die definitve Kapitulation vor dem modernen Bewusstsein. Wenn der Tod das letzte Wort sei, dann habe das Christentum zu den letzten Lebensfragen gar nichts beizutragen, meint die Unterzeichnergruppe und schliesst den Appell mit dem Zitat Römer 8.38f.

2.6. Religion in „Der Zwang zur Häresie“ (1979)

Nach „Auf den Spuren der Engel“ ist das Thema Religion etwas aus dem Blickfeld von Bergers soziologischem Interesse gerückt. Andere Themen sind in der Zwischenzeit stärker in den Vordergrund getreten, so etwa das Thema der Modernisierung und Probleme der Dritten Welt. 1979 wendet Berger sich wieder mit einem Buch seinem alten Thema zu: „The Heretical Imperative. Contemporary Possibilities of Religious Affirmation“. Oder auf deutsch: „Der Zwang zur Häresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft“, erschienen 1980.

Das Buch greift, wie Berger im Vorwort bemerkt, die Erörterungen von „Auf den Spuren der Engel“ an dem Punkt wieder auf, wo er sie damals verlassen hat, „nämlich bei der Behauptung, theologisches Denken solle einer induktiven Methode folgen“379Häresie, 7 Nach wie vor steht er zu dem, was er damals in „Auf den Spuren der Engel“ geschrieben hat. Doch verlagert er jetzt den Akzent etwas. Ging es ihm damals in erster Linie darum, die Dominanz des säkularen Bewusstseins zu kritisieren und zu relativieren, oder anders gesagt, „die Annahmen des modernen Säkularismus von innen heraus zu durchbrechen“, so verlagert das neue Buch „den Brennpunkt der Aufmerksamkeit auf die religiöse Erfahrung selbst und verfolgt dabei die Absicht, in diesem Bereich die Anwendbarkeit einer induktiven Methode zu erkunden“380ebd., 8

Auffällig am neuen Buch ist, wie stark Berger ausserchristliche Religionen in seine Überlegungen miteinbezieht. Es ist dies eine Frucht seiner Begegnung mit anderen Kulturen, die in der Zwischenzeit stattgefunden hat. Seine „ziemlich massive Konfrontierung mit den Realitäten der Dritten Welt“ hätten, wie er schreibt, sein „Verständnis der gegenwärtigen religiösen Situation geändert“ und ihm bewusst werden lassen, „wie provinziell“ seine Arbeit über Religion in den sechziger Jahren gewesen sei, „provinziell“ in dem Sinne, „dass sie sich praktisch ausschliesslich auf das Schicksal der Religion in der westlichen Welt beschränkte“381ebd.]

Die Ausweitung seines Blickwinkels hat Konsequenzen, einerseits für seine soziologische Einschätzung des Phänomens „Säkularisierung“ und andererseits für sein Ökumene-Verständnis. Was das betrifft, habe sich sein „Verständnis von ‚Ökumenizität’“ erheblich ausgeweitet und ihn zur Überzeugung geführt, „dass eine solche Ausweitung des Verständnisses sehr heilsam und jedem, der sich heutzutage mit christlicher Theologie beschäftigt, nur dringend zu empfehlen“ sei381ebd., 8 f Die Auseinandersetzung mit den grossen Weltreligionen, vor allem mit den westasiatischen Religionstraditionen und jenen des indischen Subkontinents, sei „für die Theologie und das reli-426 giöse Denken der Zukunft von zentral wichtiger Bedeutung“382ebd., 9 Ausgangspunkt der Überlegungen in „Der Zwang zur Häresie“ ist Bergers Diagnose, dass „die Modernität die Religion in eine ganz spezifische Krise gestürzt“ hat, eine Krise, „die zwar ohne Frage durch Säkularität gekennzeichnet, die aber weit wichtiger durch Pluralismus charakterisiert“ sei383ebd. In einer pluralistischen Situation wird die Autorität jeder religiösen Tradition unterminiert, und es stellt sich die Frage: Wie kann man unter diesen Umständen die Tradition weiterhin aufrechterhalten?

Nach Berger gibt es auf diese Frage grundsätzlich drei Antworten, „drei hauptsächliche Optionen“, wie er es ausdrückt. Leute, die an der Tradition weiterhin interessiert sind, „können die Autorität der Tradition trotz der Herausforderung, der sie ausgesetzt ist, weiterhin bekräftigen; sie können die Tradition zu säkularisieren suchen; sie können die in der Tradition verkörperten Erfahrungen aufzudecken und kundzutun suchen“384ebd. Die erste Möglichkeit nennt Berger „Deduktion“, die zweite „Reduktion“ und die dritte „Induktion“. Er widmet ihnen je ein Kaptitel in seinem Buch, wobei er jeweils einen seiner Meinung nach repräsentativen Theologen analysiert. Für die deduktive Möglichkeit – die „Wiederbestätigung der Tradition“385Vgl. ebd., 3. Kapitel, 80 – 108] – ist es Karl BARTH, für die reduktive Möglichkeit – die „Modernisierung der Tradition“385Vgl. ebd., 4. Kapitel, 109 – 139] – Rudolf BULTMANN und für die induktive Option – „Von der Tradition zur Erfahrung“386Vgl. ebd., 5. Kapitel, 139 – 170] – Friedrich SCHLEIERMACHER. Berger ist der Überzeugung, „dass nur die dritte Option, nämlich der induktive Ansatz, letztlich Bestand haben wird“387ebd., 9

Sein ganzes Buch hindurch versuche er „in einer Weise zu argumentieren, die vernünftige Menschen anspricht“, ohne dass sie einem bestimmten Glauben anhängen müssten, erklärt Berger im Vorwort388ebd. Das hindert ihn aber nicht daran, sich selbst zum Christentum zu bekennen; seine eigene Glaubensbindung sei „unzweideutig“ und „unwiderruflich“ christlich. Wir haben das ja bereits weiter oben gesehen (Seite 22). Auch seinen theologischen Standort legt Berger nun ausdrücklich fest: „Mehr noch, mein Angebot eines induktiven religiösen Denkansatzes stellt mich unmissverständlich in einen bestimmten Gedankenstrom der Ideengeschichte, nämlich in den des protestantischen theologischen Liberalismus im Gefolge von Friedrich Schleiermacher. So habe ich meinen theologischen ‚Platz‘ seit den frühen sechziger Jahren verstanden; er ist nun klarer geworden“389ebd., 10

Berger kommt im Vorwort auch auf den „Hartford Appeal“ zu sprechen. Dieses Dokument sei „weithin als eine Erklärung des theologischen Konservativismus aufgefasst worden“, was indessen „grundfalsch“ sei390ebd., 11 f Weder gegen den „theologischen Liberalismus noch gegen die politische ‚Linke‘“ sei der Appell gerichtet gewesen, sondern „ausschliesslich gegen die intellektuelle Kapitulation vor dem Säkula-rismus“391ebd., 12 Heute manifestiere sich diese Kapitulation häufig darin, „dass man die christliche Botschaft mit diesem oder jenem Programm links von der Mitte identifiziert“392ebd. Morgen aber, wenn die politische Stimmung der amerikanischen Intelligenz umgeschlagen habe „können sich die Worte des Hartford-Dokuments genauso gut gegen ein rechtsgerichtetes, unter einem christlichen Etikett vermarktetes Programm richten“393ebd. Sich selbst stuft Berger ein als das theologisch wahrscheinlich „am weitesten links stehende Mitglied der Gruppe“, was, wie er präzisiert, natürlich nicht heisse, dass er auch „politisch weiter links stand als die anderen“394ebd., „politisch“ hervorgehoben Seine Position sei „weder ‚reaktionär‘ noch ‚revolutionär‘“. Ihm gehe es „nicht um Rückkehr zur Tradition, sondern um Rückkehr zum Kampf mit der Tradition“395ebd., „Kampf“ hervorgehoben

Auf den Kampf mit der Tradition bezieht sich auch der Titel des Buches: „The Heretical Imperative“, bzw. „Der Zwang zur Häresie“. Den Begriff „Häresie“ versteht Berger zunächst im ursprünglichen griechischen Wortsinn als „wählen“, eine Wahl treffen396Vgl. ebd., 40], und zwar die Wahl einer abweichenden Meinung innerhalb einer gegebenen Tradition, die als Autorität gilt. Häresie setzt Autorität voraus und der Häretiker zeichnete sich bisher aus dadurch, dass er diese Autorität leugnete und es ablehnte, „die Tradition in toto zu akzeptieren. Statt dessen suchte und wählte er aus den Traditionsinhalten aus, und aus diesem Ausgesuchten und Ausgewählten bildete er sich seine eigene abweichende Meinung“396ebd., 41. „in toto“ hervorgehoben Die Möglichkeit zur Häresie hat immer bestanden, in der modernen Welt aber ist sie epidemisch geworden, sozusagen zu einer Notwendigkeit. Warum? Weil die moderne, pluralistische Gesellschaft es nicht mehr zulässt, eine bestimmte Tradition einfach als fraglose Gewissheit hinzunehmen. Dazu bestehen die erforderlichen Plausibilitätsstrukturen nicht mehr. Der heutige Mensch kann sich nicht mehr einem allgemeinen Konsens anschliessen. Den gibt es nicht mehr. In der modernen Situation muss der Mensch wählen, sich selber entscheiden: „Mit anderen Worten, die Menschen müssen heute aussuchen und auswählen“397ebd., 42. „müssen“ hervorgehoben] und auch hinsichtlich ihrer Glaubensvorstellungen eine Wahl treffen. Sehen wir uns im folgenden jene Stellen in Bergers Buch an, die für unsere Frage nach seinem Religionsverständnis besonders interessant zu sein versprechen. Da ist zunächst einmal das zweite Kapitel mit dem Titel „Religion: Erfahrung, Tradition, Reflexion“397ebd., 46 – 79

2.6.1. Die „vielen Realitäten“ und religiöse Erfahrung

Berger geht von der Grundfeststellung aus, „dass Religion zunächst einmal, keine Sache der Reflexion oder des Theoretisierens“ sei – sondern: „Das innerste Wesen des religiösen Phänomens besteht in vorreflektiver, vortheoretischer Erfahrung“398ebd., 50

Um das Wesen der religiösen Erfahrung zu erläutern, geht Berger aus von Alfred SCHUETZs phänomenologischem Modell menschlicher Wirklichkeitserfahrung. Das heisst, er versucht „das, was man gemeinhin religiöse Erfahrung nennt, innerhalb eines grösseren Spektrums menschlicher Erfahrung zu lokalisieren“399ebd. Alle übermenschlichen Erklärungen des Phänomens bleiben dabei ausgespart.

Der Mensch erfährt Wirklichkeit „nicht als ein einheitliches Ganzes“, sondern „als miteinander verbundene Zonen oder Schichten von höchst unterschiedlicher Qualität“400ebd. SCHUETZ nannte dieses Faktum die „Erfahrung vielfacher Realitäten“401ebd., 51 Nicht alle Realitätszonen sind dabei für das menschliche Bewusstsein in gleichem Mass wirklich. Es gibt für das Bewusstsein eine „oberste Realität“, nämlich „die Realität des Hellwachseins im gewöhnlichen Alltagsleben“402ebd. Von dieser „obersten Realität“ aus gesehen „erscheinen die anderen Realitäten als Art von Enklaven, in die das Bewusstsein sich hineinbegibt und aus denen es wieder in die ‚reale Weit‘ des Alltagslebens zurückkehrt“403ebd. Verglichen mit der „obersten Realität“ sind die anderen Realitäten „begrenzte Sinnprovinzen“, bzw. „Subwelten“404ebd. Die Ausdrücke werden bei SCHUETZ gebraucht. Den Begriff „Subwelt“ hat Schütz von William JAMES. Vgl. ebd. Die „oberste Realität“ ist die Wirklichkeit, die man am leichtesten mit anderen Menschen teilen kann. Sie wird von den meisten Menschen bewohnt und in ihrer Plausibilität fortwährend bestätigt. Sie hat mit anderen Worten die stärkste Plausibilitätsstruktur und wird demzufolge „mit dem stärksten Realitätsakzent“405ebd., 52] erlebt. Zugleich weist diese „oberste Wirklichkeit“ aber ein Paradox auf, das darin besteht, „dass sie gleichzeitig massiv real (realissimum) ist und sehr zerbrechlich“405eba., „gleichzeitig“ und „realissimum“ hervorgehoben Gelegentlich erlebt das Individuum auch „Brüche in dieser irdischen Welt, und sie werden als Beschränkungen oder Grenzen der obersten Realität erfahren“406ebd. Anlass zu solchen Realitätsbrüchen können physiologische Vorgänge sein „wie Träume, die Grenzzustände zwischen Schlafen und Wachen, starke körperliche Empfindungen (schmerzhafte oder angenehme), halluzinatorische Erlebnisse (wie die von Drogen hervorgerufenen)“. Es können aber auch Erlebnisse nicht-physiologischer Art sein „wie Erfahrungen theoretischer Abstraktion (etwa wenn die Welt sich in den Abstraktionen theoretischer Physiker oder reiner Mathematiker „auflöst“), ästhetische oder komische Erfahrungen“407ebd., 52 f Solche Erfahrungen vermitteln dem, der sie macht, das Gefühl, „ausserhalb der irdischen Welt zu stehen, einer Welt, die ihm nun als rissig, absurd oder gar illusionär erscheint“408ebd., 53 Es sind anders ausgedrückt „ekstatische“ Erfahrungen: „So sind alle diese Erfahrungen von Brüchen in ihrem Wesen ekstatisch, im wörtlichen Sinne von ekstasis, von ‚ausserhalb‘ der normalen Welt ‚stehend‘“409ebd., „ekstasis“ hervorgehoben Angesichts solch ekstatischer Brüche wird die gewöhnliche Welt relativiert – oder besser gesagt: sie wird plötzlich als „doppelbödig“ wahrgenommen. Durch die „Löcher im Gefüge dieser Welt kann man eine andere Realität ausmachen“ , die immer schon hinter der Wirklichkeit der Alltagswelt dagewesen ist, „sozusagen auf einem ‚anderen Boden‘“410ebd. „andere Realität“ hervorgehoben Diese Erfahrung der Doppelbödigkeit „macht nicht nur eine unvertraute neue Realität sichtbar, sondern wirft auch ein neues Licht auf die vertraute Realität gewöhnlichen Erlebens“411ebd. Diese vertraute und „zuvor als massiv und kohärent erlebte Normalwelt wird nun als etwas leicht Zerbrechliches gesehen, als so etwas wie ein aus Pappe bestehendes, schadhaftes Bühnenbild, das jeden Augenblick zusammenbrechen und seine Unwirklichkeit erkennen lassen kann“412ebd.

Diese Erfahrungen anderer Realitäten seien, siehe dazu S. 54, „schwer in Worte zu kleiden“, weil „die Sprache ihre Wurzeln in der irdischen Erfahrung“ habe, d.h. als Kommunikationsmittel auf die Normalwelt zugeschnitten ist. Dennoch lassen sie sich aber grundsätzlich beschreiben. Die meisterhafteste Behandlung dieser Erfahrung einer „anderen Wirklichkeit“ sieht Berger in Robert MUSILs „Mann ohne Eigenschaften“ und – wenngleich „weniger eindrucksvoll“ in Marcel PROUSTs Episode der Tea-party-Ekstase in „Du côté de chez Swann“. Vgl. ebd., 205 f, Fussnote 3.]

In das Spektrum der Erfahrungen „anderer Realitäten“ stellt Berger nun auch die Religion. Religion richtet sich auf eine „andere Realität“, die dem Menschen nach Berger in zweifacher Gestalt erlebbar ist, als Erfahrung des „Übernatätlichen“ und als Erfahrung des „Heiligen“: „Empirisch formuliert, was man üblicherweise Religion nennt, umfasst ein Aggregat menschlicher Einstellungen, Glaubenshaltungen und Handlungen angesichts von zwei Erfahrungsformen: der Erfahrung des Übernatürlichen und der Erfahrung des Heiligen“413ebd., 55

Die Erfahrung des „Übernatürlichen“ zeichnet sich gegenüber den anderen „begrenzten Sinnprovinzen“ durch ihre radikale Qualität aus. Die Welt des Übernatürliehen „ist radikal, überwältigend anders414ebd., „anders“ hervorgehoben. Zum Begriff „Übernatürliches“ siehe Bergers Bemerkungen in Fussnote 4, Seite 206: „Dem Begriff des ‚Übernatürlichen‘ haften einige unglückliche Assoziationen an, wie man nicht eigens betonen muss. Im Sinne der jüngeren Theologie ist er immer noch mit einer erzreaktionären und antimodernen Haltung assoziiert (wie in der sogenannten Schule des Übernatürlichen der römisch-katholischen Theologie des neunzehnten Jahrhunderts). Der Begriff scheint auch eine radikale Entwertung der natürlichen Welt zu enthalten, eine Entwertung, die man eher für gnostisch oder manichäisch als für jüdisch-christlich halten könnte. Die Aufgabe, einen anderen Begriff zu suchen, stellt sich daher von selbst. Meine Suche ist bislang erfolglos verlaufen. Der Begriff ‚Heiliges‘ ist nicht geeignet, aus Gründen, die in der hier angestellten Erörterung entwickelt werden. ‚Transzendenz‘, ein Begriff, den ich anderweitig benutzt habe, ist zwar besser, doch er besitzt mindestens ebensoviele Assoziationen, die in die Irre führen können (in diesem Falle philosophische und weniger theologische Assoziationen). Hier habe ich mich, faute de mieux [hervorgehoben], wieder für das ‚Übernatürliche’ entschieden.” Mehr noch, sie stellt die normale Wirklichkeitshierarchie auf den Kopf. D.h. sie lässt die Überzeugung aufkommen, dass diese andere Realität „das wahre realissimum darstellt, die letzte Realität, im Vergleich zu der die gewöhnliche Realität ganz und gar zur Bedeutungslosigkeit schrumpft“415ebd., 55. „realissimum“ hervorgehoben

Die Erfahrung des Übernatürlichen ist für das Verständnis der Religion sehr wichtig. Berger betont aber, „dass diese Erfahrung sich nicht mit dem Phänomen Religion“ decke416ebd., 57. „nicht“ hervorgehoben Was ist dann Religion? Berger gibt folgende Definition: „Für die hier geführte Erörterung lässt sich Religion als menschliche Einstellung definieren, die den Kosmos (einschliesslich des Übernatürlichen) als eine heilige Ordnung begreift“417ebd. Die Betonung auf „Kosmos“ bei dieser Definition gehe – bemerkt Berger in einer Fussnote418Vgl. ebd., 206 f, Fussnote ] – auf Mircea ELIADE zurück, „wenngleich Durkheim eine nützliche soziologische Darstellung und Erläuterung all dessen bereithält, was eine solche ‚Kosmologie‘ in sich einschliesst“. Ganz zentral ist die im Sinne von Rudolf OTTO verstandene Kategorie des „Heiligen“ – „und zwar wirklich so zentral, dass man Religion auch einfach als eine menschliche Einstellung angesichts des Heiligen definieren könnte“418ebd., 57

Das „Heilige“ und das „Übernatürliche“ seien nicht identische, sondern verwandte Phänomene, wobei zu vermuten sei, dass die Erfahrung des „Heiligen“ ihre Wurzeln in der Erfahrung des „Übernatürlichen“ habe. Das Verhältnis der beiden Erfahrungen zueinander könne man sich „vergegenwärtigen, indem man sich das Übernatürliche und das Heilige als zwei einander überlappende, aber nicht zusammenfallende Kreise menschlicher Erfahrung“ vorstelle419ebd., 57 f

2.6.2. Religiöse Erfahrung und Tradition und Reflexion

Religiöse Erfahrungen sind nicht in gleichem Mass unter den Menschen verteilt und – wie jede menschliche Erfahrung – nicht dauerhaft. Sofern sie über die Zeitläufe hinweg bewahrt und anderen Menschen zugänglich gemacht werden sollen, müssen sie objektiviert und institutionalisiert werden. Religiöse Erfahrung wird deshalb in Traditionen und Institutionen verkörpert.

Dieser Vorgang ist bei religiöser Erfahrung nicht ganz unproblematisch. Warum? Weil religiöse Erfahrung eine Erfahrung ist, die „die Realität des normalen Lebens aufbricht, während doch alle Traditionen und Institutionen Strukturen innerhalb der Realität des Normallebens bilden“420eba., 60. „innerhalb“ hervorgehoben Die Transponierung der Erfahrung von einer Wirklichkeit in eine andere führe aber „fast unvermeidlich zur Verzerrung“421ebd.]

Religiöse Erfahrung setzt ferner „ihre eigene Autorität, sei es mit der Majestät göttlicher Botschaft in Offenbarungsreligionen, sei es mit dem überwältigenden inneren Realitätsgefühl des Mystikers“421ebd. Sobald die Erfahrung sich jedoch in Traditionen objektiviert, geht die innere Autorität der religiösen Erfahrung auf die äussere Tradition über. Die Qualität des Heiligen wird „von dem, was damals in einer anderen Realität erfahren worden ist … auf das übertragen, was jetzt in der irdischen Realität des Alltagslebens erfahren wird“422ebd., 61. „damals“ und „jetzt“ hervorgehoben So entstehen heilige Rituale, heilige Bücher, heilige Institutionen, heilige Funktionäre. Mit anderen Worten: „Das Unaussprechliche wird nun ausgesprochen, und es wird routinemässig ausgesprochen. Das Heilige ist zur Gewohnheitserfahrung geworden, das Übernatürliche ist gleichsam ‚naturalisiert‘“423ebd., “routinemässig” hervorgehoben

Als „institutionalisierte Tatsache innerhalb des normalen Gesellschaftslebens“ wird die Glaubwürdigkeit, die „Plausibilität“ religiöser Erfahrung durch dieselben sozialen Prozesse aufrechterhalten, die auch jede andere objektivierte Erfahrung plausibel sein lassen, d.h. im wesentlichen durch sozialen Konsens und soziale Kontrolle: „Die Erfahrung ist glaubhaft, weil jedermann behauptet, es sei so, oder doch so handelt, als wäre es so, und weil alle, die dies leugnen, mit Unannehmlichkeiten der verschiedensten Art und Stärke rechnen müssen“424ebd. Der einzelne akzeptiert die religiösen Wahrheiten anders gesagt nicht mehr unbedingt aus eigener Überzeugung, sondern „weil er in einem sozialen Milieu lebt, in dem diese Akzeptierung eine Routinetatsache des Soziallebens darstellt“425ebd., 62

Als gesellschaftliches Faktum ist Religion nicht mehr dasselbe wie in ihrem ursprünglichen Erleben. Unter Umständen könnte man den ganzen Traditionalisierungs- und Institutionalisierungsprozess daher als einen Prozess der Degeneration betrachten und ihn ablehnen. Dagegen möchte Berger sich indessen verwahren. Seine Überlegungen könne man, schreibt er, leicht so verstehen, als stünde „hinter ihnen eine radikal anti-institutionelle Einstellung, nach der das ganze Gesellschaftsleben als blanker Lug und Trug abgetan werden“ könne426ebd. In einer Fussnote weist er dabei auf seine frühen Bücher „The Precarious Vision“ und „Einladung zur Soziologie“ hin, wo er, wie er sagt, tatsächlich zu einem gewissen Anti-Institutionalismus geneigt habe. Nun korrigiert er sich aber. Zwar würde er „nicht ganz und gar in Abrede stellen“, was er „seinerzeit über die Gesellschaft als ‚Fiktion‘ und über die beseligenden Qualitäten der ‚Ekstase‘ und dergleichen geschrieben“ habe. Eine solche Weltperspektive sei „durchaus geeignet, einige wichtige Merkmale institutionalisierter Religion und in der Tat von Institutionen im allgemeinen zu zeigen“, doch übertreibe sie diese Charakteristika auch und führe „zu einer einseitig individualistischen (und ipso facto weniger als soziologisch angemessenen) Anschauung menschlicher Existenz“427ebd.; 207 f, Fussnote 14

Tatsächlich gibt es für die Einsichten der religiösen Erfahrung keine andere Möglichkeit, die Zeit zu überdauern, als ihre Hineinnahme in die irdische Realität – als „Inkorporierung der Erinnerung in Traditionen, die soziale Autorität beanspruchen“428ebd . , 62. hervorgehoben] – obwohl sich diese Inkorporierung unumgänglich verzerrend auswirkt. Jede menschliche Tradition bewahrt eine „kollektive Erinnerung“. Religiöse Tradition ist dabei „eine kollektive Erinnerung an jene Augenblicke, in denen die Realität einer anderen Welt in die oberste Realität des Alltagslebens eingebrochen ist“428ebd.]

Aber nicht nur Erinnerung religiöser Erfahrung ist die religiöse Tradition; sie ist gleichzeitig auch deren „Domestizierung“. Religiöse Erfahrung stellt ihrem Wesen nach „eine ständige Bedrohung der Sozialordnung“ dar429ebd.]: Sie „relativiert radikal die gewöhnlichen Probleme des menschlichen Lebens, wenn sie diese Probleme nicht überhaupt entwertet“430ebd., 63 Religiöse Erfahrung ist in diesem Sinne gefährlich. Daher müssen, damit die Gesellschaft überleben kann, Begegnungen mit dem Übernatürlichen eingeschränkt, kontrolliert und begrenzt werden. Das eben geschieht durch die Inkorporierung in Traditionen und Institutionen. Religiöse Tradition ist somit „auch ein Abwehrmechanismus der obersten Realität“, ein Schutz davor, „von den Einbrüchen des Übernatürlichen überrannt zu werden“431ebd. Berger verweist in diesem Zusammenhang auf die Etymologie des Begriffs „Religion“, der auf „relegere“ zurückgeht, was auch „vorsichtig sein“ bedeuten kann. Religiöse Tradition ist in diesem Sinn „ein vorsichtiger Umgang mit einer höchst gefährlichen menschlichen Erfahrung“432ebd.

Die Objektivierung menschlicher Erfahrungen geschieht dadurch, dass diese in vom Menschen geschaffenen Symbolapparaten eingefangen werden. Diese Symbolapparate bestimmen aber, was und wie wahrgenommen wird. Von daher gesehen erscheint dann auch religiöse Erfahrung als menschliche Projektion – und ist es auch. Aber sie ist es, wie Berger betont, nicht nur. Das Verhältnis zwischen religiöser Erfahrung und ihrer Verbegrifflichung in einem bestimmten Symbolapparat lässt sich vielmehr als ein dialektisches bestimmen: „Religion lässt sich als menschliche Projektion verstehen, weil sie in menschlichen Symbolen kommuniziert wird. Doch eben diese Kommunikation wird ausgelöst durch eine Erfahrung, mit der eine übermenschliche Erfahrung in das menschliche Leben injiziert wird“433ebd. , 65. hervorgehoben

Ein Bestandteil jeder religiösen Tradition ist schliesslich „die Entwicklung theoretischer Reflexion“434ebd. Einmal davon abgesehen, dass dem Menschen als reflektivem Wesen die Neigung zur Reflexion über seine Erfahrungen von Natur aus eingeboren ist, entspringt die theoretische Reflexion der sozialen Forderung nach Legitimation der Tradition. Daraus kann sich mit der Zeit „ein Ensemble mehr oder weniger autoritativer Darstellungen und Interpretationen der ursprünglichen Erfahrung“ ergeben und theoretische Gebäude „von ungeheurer geistiger Fülle und Differenziertheit“ können sich bilden435ebd., 66

Mit Nachdruck betont Berger dabei aber, dass diese Reflexion und ihre Produkte nicht mit der ursprünglichen Erfahrung, aus der sie hervorgegangen sind, verwechselt werden dürften. Religiöse Erfahrung ist nicht dasselbe wie die Reflexion über sie. Diese Unterscheidung gilt es auch zu berücksichtigen bei der Beurteilung des Problems der Relativität, wie es etwa durch die moderne Geschichts- und Sozialwissenschaft heraufbeschworen worden ist, d.h. durch Disziplinen, die in ihrer Wirkung „zutiefst relativierend“ sind, weil sie eine Tradition, bzw. eine Theologie „als Produkt vielfältiger historischer Ursachen“ verstehen, bzw. „als Ergebnis dieses oder jenes sozioökonomischen Konflikts und so weiter“436ebd., 67 Mehr als einmal habe in „den letzten zweihundert Jahren religiöser Gelehrsamkeit“ das Phänomen Religion „unter diesen Relativierungen zu verschwinden“ gedroht, bemerkt Berger und fährt fort: „Um so nützlicher ist es, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass die religiöse Erfahrung eine Konstante in der Menschheitsgeschichte darstellt“437ebd. Diese Erfahrung gilt es heute in den Mittelpunkt der Erforschung des religiösen Phänomens zu rücken: „Jenseits aller Relativitäten der Geschichte und der irdischen Realität als solcher muss diese Kern- und Grunderfahrung in ihren verschiedensten Formen das letzte Objekt jeglicher Erforschung des religiösen Phänomens bilden“438ebd.

2.6.3. Die induktive Option

Zur Erforschung dieser religiösen Ursprungserfahrung empfiehlt Berger nun eine am Geist Friedrich SCHLEIERMACHERs inspirierte „induktive“ Methode. Den Begriff „induktiv“ versteht Berger dabei „im Sinne empirischer Beweiskraft“439ebd., 140 Der induktive Denkansatz beinhaltet zweierlei: Sie will einerseits „die menschliche Erfahrung als Ausgangspunkt religiöser Reflexion nehmen“ und andererseits „historische Methoden einsetzen, um jene Erfahrungen aufzudecken, die sich in den verschiedensten Religionstraditionen niedergeschlagen haben“440ebd., 140 f Die induktive Methode ist mit anderen Worten sowohl phänomenologischer wie historischer Art.

Mit seinem „induktiven Denkansatz“ will Berger sich gegen die beiden anderen Optionen abgrenzen, d.h. von der „deduktiven Option“ sowohl wie von der „reduktiven“ – oder anders gesagt, von der neoorthodoxen, der „rechten“ Position innerhalb der Theologie ebenso wie von der „linken“: „Gegenüber der Rechten bedeutet diese Position eine erneute Betonung des Menschlichen als des einzigen Ausgangspunktes für die theologische Reflexion und eine Ablehnung jeglicher externer Autorität (mag sie biblisch, kirchlich oder traditionell sein), die sich einer solchen Reflexion aufdrängt. Gegenüber der Linken bedeutet diese Position eine erneute Betonung des übernatürlichen und heiligen Charakters religiöser Erfahrung und eine Zurückweisung der besonders aufdringlichen Autorität des modernen säkularen Bewusstseins“441ebd., 168 f

2.6.4. Religiöse Erfahrung als Konfrontation und Innerlichkeit

Im letzten Kapitel seines Buches, betitelt mit „Zwischen Jerusalem und Benares: Der heraufkommende Wettstreit der Religionen“, stellt Berger eine Typologie religiöser Erfahrung auf, die zwischen zwei Formen, zwei „Idealtypen“ im Weberschen Sinn, unterscheidet: Die eine lässt sich charakterisieren als „Konfrontation mit dem Göttlichen“, die andere als „Innerlichkeit mit dem Göttlichen“442ebd., 182. hervorgehoben Vorderasien zeichnet sich nach Berger aus durch eine Konzentration auf den ersten Typus, während Indien das Paradebeispiel für den zweiten Typ ist. Anders gesagt: für Vorderasien ist typisch, „dass es das Göttliche erlebt als persönlichen Gott, der zu dem Menschen spricht“443ebd., 173 Gott „manifestiert sich als Person, Wille, Rede“444ebd., 174], und in seiner Begegnung mit Gott „erhält der Mensch sein Profil als Person, Wille, Rede“444ebd., „Mensch“ hervorgehoben D.h. die Erfahrung des Göttlichen als Konfrontation wirkt sich „individualisierend“ aus und hat einen „historisierenden“ und „moralisierenden“ Effekt445Vgl. ebd . , 174 f

Demgegenüber ist „die für Indien kennzeichnende Erfahrung von Innerlichkeit geprägt. Das Göttliche tritt dem Menschen nicht von aussen gegenüber, sondern muss in ihm selbst als göttlicher Grund seines Seins und des Kosmos gesucht werden. Das Göttliche ist hier überpersönlich und jenseits aller Eigenschaften, einschliesslich jener des Willens und des Redens“446ebd., 175 Alle Formen der Mystik repräsentieren diesen Typus religiöser Erfahrung.

Welchem Typus rechnet Berger sich zu? Er gibt darüber Auskunft gegen Ende seines Buches, wo er seine glaubensneutrale Haltung aufgibt und „einige Anmerkungen von einem explizit christlichen Standpunkt aus“ anführt447ebd., 195 Berger betont, dass einen solchen Standpunkt einzunehmen keineswegs bedeute, nun etwa doch „auf dem Fundament eines ‚Glaubenssprunges‘ oder auf irgendeinem Immunitätswall gegenüber rationaler oder empirischer Kritik Fuss zu fassen“ oder sich erneut einer Autorität zu unterwerfen – sondern: „Es heisst ganz schlicht und einfach: die Überzeugung, dass die Grundgehalte der christlichen Botschaft die vollständigste und angemessenste Interpretation der eigenen Erfahrungen mit Gott, Welt und Selbst bereitstellen. Anders gesagt, christlicher Glaube soll hier die Überzeugung bedeuten, dass das Universum im Licht von Golgatha und Sinai letztlich Sinn ergibt. Wenn man will, bedeutet er auch, dass man seinen endgültigen Platz in Jerusalem wählt“448ebd . , 196. „heisst“ hervorgehoben

2.6.5. Das theologische Programm für die Zukunft

Berger schliesst mit einigen Anregungen für die christliche Theologie. Die Theologie sollte sich seiner Meinung nach grundsätzlich dem methodologischen Programm von SCHLEIERMACHER zuwenden, sich also auf die Linie der liberalen Theologie stellen. Von dieser Warte aus „betrachtet man die Neo-Orthodoxie wie die säkularistischen Bewegungen der Theologie im zwanzigsten Jahrhundert als Abirrungen, denen man sich verschliessen sollte“, meint Berger449ebd. Zu den Methoden der liberalen Theologie zurückkehren, heisst nach ihm aber nicht, auch zu ihren Themen zurückzukehren. Die Themenliste der alten liberalen Theologie „konzentrierte sich auf die Auseinandersetzung mit der Modernität“450ebd., 197. hervorgehoben Dieses Thema erachtet Berger als erschöpft. Heute stehen andere Probleme im Vordergrund: „Auf der Tagesordnung von heute steht das weit drängendere und bedrängendere Problem der Auseinandersetzung mit der Fülle menschlicher Religionsmöglichkeiten“451ebd., hervorgehoben

Jeden neuen Versuch, „das Christentum dem schmackhaft zu machen, was als das säkulare Bewusstsein des modernen Menschen gilt“, hält Berger für steril und darüberhinaus vergeblich und sinnlos, da „genau diese moderne Säkularität sich heute in einer Krise“ befände: „Was an der heutigen Welt am augenfälligsten ist, das ist nicht so sehr ihre Säkularität, sondern vielmehr ihr grosser Hunger nach Erlösung und Transzendenz“452ebd., 198 Weit anregender als die Beschäftigung mit der Frage: „Was hat der moderne Mensch dem christlichen Glauben zu sagen?“ – weit anregender auch als „die zigfache Neuinterpretation von Hegel, Marx oder Freud, um sie in irgendeine Art von Einklang mit dem Christentum zu bringen“ – weit anregender als das findet daher Berger die Beschäftigung mit Religion im eigentlichen Sinn. Er hält dafür, „dass ein anderes ‚Anderes‘ als die Modernität für die christliche Theologie ein weit gewinnbringenderes Stimulans sein könnte“ und es „unermesslich nützlicher ist, in den Upanischaden zu forschen, als in den letzten Hervorbringungen heutiger Ideologen“453ebd., 199 f, bzw. 197 für die Zitate: „Was hat der moderne Mensch.. . „ und „die zigfache…“ Von der Auseinandersetzung mit der Modernität weg hin zur Auseinandersetzung mit Benares betrachtet Berger als „einen Ausweg aus der Sackgasse der heutigen Theologie“454ebd., 200. hervorgehoben

Letzten Endes aber sei es nicht die Theologie, von der die Zukunft des Christentums abhänge, meint Berger. Denn: „Religion ist ihrem Wesen nach keine intellektuelle Unternehmung“ – oder anders gesagt: „Die Geschichte des Christentums ist nicht die Geschichte der christlichen Theologie. Es ist vielmehr die Geschichte einer bestimmten Art religiöser Erfahrung und religiösen Glaubens“455ebd., 202 Aus diesem Grund hänge auch „die Zukunft des Christentums nicht von einem theologischen Programm ab“. Wenn das Christentum eine Zukunft habe, dann liege diese „im Wiederaufleben christlicher Erfahrung und Frömmigkeit bei Menschen, die niemals ein theologisches Buch gelesen haben“456ebd.

2.7. Religion in „The Other Side of God“ (1981)

Wie bei „Against the World for the World“ ist Berger auch bei diesem Band lediglich der Herausgeber, steuert aber nebst dem Vorwort selbst einen Artikel bei, in dem er „Problem and Agenda“ des Buches umreisst.

Die Schrift selbst ist eine Sammlung von Beiträgen verschiedener Autoren. Sie ist das Ergebnis eines Seminars, das von 1978 – 1980 in New York und Boston unter dem Titel „Monotheism and the World Religions“ stattgefunden hat und bei dem Peter Berger den Vorsitz führte. Zweck des Seminars war es, einige grundlegende Aspekte des Monotheismus neu zu überdenken angesichts einer Situation, in der die grossen Religionen Süd- und Ostasiens auch im Westen zunehmend an Gewicht gewinnen. Theoretischer Ausgangspunkt des Seminars war dabei Peter Bergers in „Der Zwang zur Häresie“ vorgeschlagene Typologie religiöser Erfahrung, das heisst, seine Unterscheidung zwischen religiöser Erfahrung als „Konfrontation mit dem Göttlichen“ und als „Innerlichkeit des Göttlichen“. Im Seminar ging es darum, zu klären, wie diese beiden Erfahrungstypen sich in der Vergangenheit zueinander verhalten haben und wie sie versöhnt werden können. Fachleute der verschiedenen westlichen und östlichen Religionstraditionen haben zu diesem Thema eine Reihe von Untersuchungen angestellt, die im Seminar dann diskutiert und in „The Other Side of God“ in Buchform gesammelt wurden.

Was meine Frage betrifft, kann ich mich bei diesem Buch kurz fassen. Es gilt lediglich festzustellen, dass sich Bergers Typologie wie Berger selbst sagt457BERGER (ed.): The Other Side of God. A Polarity in World Religion. 1981. Vgl. Vorwort VIII. In seinem Artikel „Problem and Agenda“ nennt Berger übrigens die Autoren, bei denen er Anregungen für seine Typologie gefunden hat. Es sind William JAMES, Friedrich HEILER, Friedrich von HUEGEL, Ninian SMART. Siehe ebd. Seite 5., nicht voll bewährt hat und teilweise – auch von Berger selbst – wieder aufgegeben wurde.

3. Fazit

Wie versteht Berger „Religion“? Hat er ein präzises Verständnis davon? Gibt es eventuell Entwicklungen in seiner Auffassung von Religion? Das sind die Fragen, die ich mir für die vorliegende Arbeit gestellt habe.

Um sie zu beantworten, habe ich mir zunächst einmal angeschaut, was Berger zum Thema Religion sagt. Aus Gründen, die in der Einleitung genannt wurden, habe ich mich dabei auf Bergers Buchpublikationen beschränkt. Auch nach dieser Einschränkung war es nicht möglich, alle Aspekte in Bergers Religionsverständnis zu berücksichtigen. Wichtige Themenbereiche, wie z.B. das Säkularisierungsproblem oder Bergers Auseinandersetzung mit den verschiedenen theologischen Richtungen, habe ich nur am Rande gestreift oder ganz vernachlässigt. Auch bei jenen Gesichtspunkten, die ich referiert habe, konnte ich nicht ins Detail gehen. Die Arbeit hätte sich sonst noch weiter ausgewachsen.

Dennoch lässt sich, wie ich glaube, aus dem Dargelegten ein einigermassen zuverlässiges Bild von Bergers Religionsverständnis gewinnen. Jedenfalls sind die Grundlagen für eine Beantwortung der gestellten Fragen tragfähig genug.

Blickt man auf das letzte Kapitel zurück, stellt sich etwa folgender Gesamteindruck ein: Das Thema Religion birgt bei Berger eine reiche Fülle verschiedenartigster Aspekte in sich. In der Einleitung habe ich gesagt, dass Bergers Religionsbegriff „sehr vielschichtig und aspektreich“ sei. Ich glaube, diese Bemerkung kann man so bestehen lassen. Wie man andererseits aber auch bemerken wird, tauchen bei Berger stets wieder dieselben Motive und Gedankengänge auf, von den ersten Büchern bis zu den letzten. Denken wir, um nur ein Beispiel zu nennen, an den Begriff der „Ekstase“. Es ist von daher gesehen, wie ich meine, nicht falsch von einer Kontinuität und Konstanz in Bergers Denken über Religion zu sprechen. unterscheide dabei zunächst einmal zwischen einem „soziologischen“ und einem „persönlichen“ Religionsbegriff bei Berger. Diese Unterscheidung legt sich besonders nahe, wenn man sich Bergers frühe Bücher vor Augen hält. Sie zieht sich aber bei näherem Hinsehen durch all seine Schriften. In einem zweiten Schritt frage ich mich dann, wie diese beiden Religionsbegriffe sich zueinander verhalten. Zum Schluss wird es dann möglich sein, die Frage, ob Berger einen klaren Religionsbegriff hat, zu beantworten.

3.1. Bergers soziologischer Religionsbegriff

Bergers Religionsauffassung ist, soviel sollte deutlich geworden sein, eng mit seinem Gesellschaftsverständnis verflochten. Und sein Gesellschaftsverständnis wiederum gründet in einer ganz bestimmten Anthropologie. Aus den frühen Büchern wird ersichtlich, dass Berger in seinem Menschenverständnis stark vom Existentialismus geprägt ist. Berger hat auch Philosophie studiert, und sein philosophisches Flair zieht sich durch sein ganzes Werk, auch sein soziologisches. Die Wahl eines phänomenologischen Ansatzes kommt nicht von ungefähr, weist doch gerade dieser Ansatz eine starke Nähe zur Philosophie auf. Er ist daher auch schon seiner mangelnden empirisch-faktischen Grundlagen wegen von anderen Soziologen kritisiert worden.

Nach Bergers Menschenbild erscheint der Mensch als ein Wesen, das sein Dasein am Rande eines Abgrundes führt. Der Mensch ist stets bedroht durch das Chaos. Vor diesem Chaos schützt er sich, indem er sich in einer Gesellschaftsordnung nomische Strukturen schafft. Er konstruiert sich, anders gesagt, eine „Wirklichkeit“, die seinem Dasein Halt und Sicherheit verleiht. Als menschliches Konstrukt ist diese Wirklichkeit aber „prekär“. Gesellschaft erscheint in „The Precarious Vision“ als ein Ensemble von „dramatic fictions“, als ein Bühnenbild aus Pappe, das stets bedroht ist vom Kollaps und das aus diesem Grund einer zuverlässigen Absicherung bedarf.

Diese Absicherung nun bietet die Religion. Religion hält die Gesellschaft zusammen und stellt die schwankenden menschlichen Konstruktionen auf einen sicheren Boden, bzw. verankert sie in einem sicheren Himmel. Das heisst, sie erfüllt die Funktionen der sozialen Integration und Legitimation.

Das Konzept der „symbolischen Integration“ hat Berger dabei von Emile DURKHEIM, jenes der „Legitimation“ von Max WEBER. Von diesem übernimmt er auch den
Begriff der „Theodizee“, der ebenfalls eine wichtige Rolle in seinem Religionsverständnis spielt. Zu einer Art Synthese sind diese Konzepte verarbeitet im Begriff der „symbolischen Sinnwelt“, wie er in „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ erörtert wird. Symbolische Sinnwelten sind die umfassenden Sinnrahmen oder Wirklichkeitsanschauungen, die der Gesellschaft wie dem einzelnen seine Erfahrungen letztlich sinnvoll erscheinen lassen. In ihnen kann sich der Mensch „zu Hause fühlen“, unter einem sicheren Dach, das ihn vor dem Chaos schützt und noch den äussersten „Grenzsituationen“ einen Sinn verleiht.

Was Wesen und Funktion der „Symbolsinnwelt“ betrifft, gehen Berger und LUCKMANN, der Mitverfasser von „Die gesellschaftliche Konstruktion“, in ihrem Religionsverständnis einig. Für Berger indessen ist Religion nicht einfach das gleiche wie „symbolische Sinnwelt“. Es kommt noch eine wesentliche Kategorie dazu, nämlich jene des „Heiligen“. Religion verkörpert nach Berger eine „heilige Symbolsinnwelt“. Berger verwendet allerdings nicht diesen Begriff, sondern spricht von „heiligem Kosmos“, wobei er den Begriff „Kosmos“ von Mircea ELIADE übernimmt.

Dadurch, dass Religion die menschlich konstruierte Welt in einen „heiligen Kosmos“ stellt, verleiht sie ihr letzte Sicherheit. Zugleich jedoch täuscht sie damit den Menschen auch über das wahre Wesen seiner Welt und das wahre Wesen seiner Existenz. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint Religion bei Berger als ein mächtiges Agenz von „Entfremdung“. Religion liefert die Bestätigung für „mauvaise foi“ und ein Leben in „Uneigentlichkeit“. Sie verhindert die „Ekstase“ und „Ekstase“ ist nach Berger die Voraussetzung, um zu einem „eigentlichen“ und freien Dasein zu gelangen. Diese Überzeugung vertrat Berger fast leidenschaftlich in seinen ersten Büchern, stark beeinflusst vom Existentialismus. Später hat sich, wie wir bei „Der Zwang zur Häresie“ gezeigt haben, sein existentialistisches Feuer etwas gekühlt. Doch blieb der Gedanke der „Ekstase“ für sein Wirklichkeits- und sein Religionsverständnis weiterhin entscheidend .

Von Anfang an hat Berger auf die Möglichkeit hingewiesen, dass Religion sich neben ihrer vorherrschend entfremdenden Wirkung auch in umgekehrter Richtung auswirken kann. Mit Max WEBER betont er, dass Religion auch entlegitmierende und desintegrierende Tendenzen aufweisen kann und in der Geschichte immer wieder als die Gesellschaft und ihre Verhältnisse relativierende und in Frage stellende Kraft aufgetreten sei. Religion kann sich sowohl als welterhaltende wie auch als weiterschütternde Macht manifestieren. Begründet ist diese ambivalente Macht beidesmal darin, dass sie die Welt „sub specie aeternitatis“ sieht (vgl. Seiten 32, 42f, 64ff). Was Bergers persönliches Religionsverständnis betrifft, ist er besonders an dieser „entlegitimierenden“ Funktion der Religion interessiert.

3.2. Bergers persönlicher Religionsbegriff

Das entlegitmierende, ent-entfremdende, relativierende Prinzip in seinem persönlichen Verständnis von Religion ist nach Berger der absolut transzendente Gott der Bibel. „Ist ein ‚Gott-Glaube‘ gemeint? Wenn ja, welcher; denn an ‚Gott glauben‘ besagt theologisch noch nichts. Ist es der Gott des Aristoteles? oder des Deismus? oder der Gott Jesu Christi?“, so fragte mich der Professor, wenn wir uns an die Einleitung erinnern. Was diese Frage betrifft, lässt sich die Antwort im Rahmen von Bergers persönlichem Religionsverständnis klipp und klar geben: Berger glaubt an den Gott Jesu Christi. Die Betonung liegt dabei, wie mir scheint, auf „Gott“. Dieser Gott ist für Berger das „Ganz Andere“, das dem Menschen gegenübertritt als Person, Wille und Rede und das hohe sittliche Forderungen an den Menschen stellt. Dieser Gott wird erfahren in „Konfrontation“, nicht in „Innerlichkeit“ oder mystischer Vereinigung mit ihm. Gegenüber allem Mystischen scheint Berger sehr zurückhaltend um nicht zu sagen ablehnend zu sein (vgl. Seite 46f). Allerdings ist diese Zurückhaltung in seinen letzten Publikationen einem Interesse für mystische Religionsformen gewichen, was sich ja in seinem Plädoyer für die Auseinandersetzung der Theologie mit „Benares“ zeigt. Der Gott der Bibel ist für Berger eine echte „Entdeckung“ (vgl. Seite 76), und ebenso ist es „Christus“. Für Berger gewinnt „Christus“ seine Bedeutung im Hinblick auf das Problem der Theodizee. Dieses Problem findet seine Lösung in Christus, dem leidenden Gott (vgl. Seiten 61, 77). Dabei ist der Glaube an Christus nicht an die historische Figur Jesu gebunden (vgl. Seite 77f). Nach Berger kann Christus überall sein und sich konkretisieren.

Der vorherrschende Gedanke in Bergers persönlichem Religionsverständnis aber ist und bleibt der Gedanke der Transzendenz Gottes. Ihn verteidigt Berger gegen alle Relativierungen und vor allem gegen die „säkularisierte Theologie“. In ihr sieht Berger eine Anpassung an die Welt, die dem Glauben nicht ansteht. Der Glaube an den transzendenten Gott schafft zu „dieser Welt“ eine bleibende Distanz. Erst aus dieser Distanz heraus kann der christliche Glaube wirklich zum Dienst an dieser Welt werden – und das heisst nach Berger, erst so kann er seine prophetische Mission in dieser Welt erfüllen. Berger wendet sich gegen Anpassung in jeder Form. In seinen frühen Büchern nahm er dabei das „religious establishment“ aufs Korn und machte eine strikte Unterscheidung zwischen institutionalisierter „Religion“ und „christlichem Glauben“. In der Zwischenzeit hat sich allerdings sein Verhältnis zu den religiösen Institutionen wieder ins Positive gewendet. Wie die „ekstatischen“ religiösen Ursprungserfahrungen in Einklang zu bringen sind mit religiösen Institutionen und Traditionen, hat Berger in „Der Zwang zur Häresie“ darzulegen versucht (vgl. Seite 89ff).

3.3. Das Verhältnis von soziologischem und persönlichem Religionsbegriff

Ich habe unterschieden zwischen einem soziologischen und einem persönlichen Religionsbegriff bei Berger. Fragen wir uns jetzt kurz, wie diese beiden Begriffe sich zueinander verhalten. Wo gibt es Übereinstimmungen, wo Widersprüche?

Übereinstimmung gibt es darin, dass Berger sowohl für seinen persönlichen wie auch für seinen soziologischen Religionsbegriff eine „Transzendenz“ postuliert. Während diese „Transzendenz“ in seinem persönlichen Religionsverständnis auf den Gott der Bibel hin konkretisiert ist, bleibt sie aber beim soziologischen Religionsbegriff mehr oder weniger unspezifiziert. D.h. sie kann alles bedeuten, was die „oberste Realität“ der Alltagswelt übersteigt. Mir scheint, im soziologischen Bereich bleibt diese Kategorie bei Berger ziemlich diffus. Berger ist sich dessen offenbar selber bewusst. Ich verweise dazu auf Bergers Anmerkung zum Begriff des ‚Übernatürlichen’ in „Der Zwang zur Häresie“ (vgl. in meiner Arbeit Fussnote 462). Dennoch ist der Begriff des „Heiligen“ die differentia specifica, die Bergers Religionsbegriff gegenüber anderen Religionsbegriffen, zum Beispiel jenem von LUCKMANN, abgrenzt.

Widersprüche zwischen dem soziologischen und persönlichen Religionsbegriff gibt es meiner Meinung nach mindestens bei zwei Punkten: Erstens einmal erscheint Religion in soziologischer Perspektive als menschliche Projektion. Bergers soziologisches Religionsverständnis begreift Religion mit anderen Worten als Menschenwerk, als menschliche Konstruktion, die gleich anderen Konstruktionen vom Menschen produziert und aufrechterhalten wird. Daraus entsteht das nach Berger heute zentrale Problem der Relativität, das zu lösen ihm selbst ein wichtiges Anliegen ist. Dabei lassen sich verschiedene Etappen in seinen Lösungsbemühungen erkennen. Ganz am Anfang, d.h. in seinem ersten Buch „The Precarious Vision“, ist das Problem noch nicht akut, weil Berger hier die Unterscheidung zwischen Religion und Glauben macht und bloss die Götter der Religion als „Idole“, als Menschenwerk gelten lässt (vgl. Seite 36). Später gibt Berger diese Unterscheidung auf, wir wir gesehen haben. Nun gilt es für ihn den Transzendenzgedanken gegen seine Reduktion auf das Nur-Menschliche zu verteidigen. Er entwickelt dabei im Gefolge der liberalen Theologie im Sinne von Schleiermacher eine „induktive“ Methode, die bei empirischen Gegebenheiten des Menschen ansetzt, um von da aus dann zu einer transzendenten Wirklichkeit zu gelangen. Dabei weitet Berger seinen Blick immer mehr auch auf andere Religionstraditionen aus. Der zweite Widerspruch liegt darin, dass Berger Religion im soziologischen Verständnis als eine die Gesellschaft legitimierende und – damit verbunden – dem Menschen entfremdende Instanz begreift, wohingegen sich Religion in seinem persönlichen Verständnis gerade umgekehrt entlegitimierend und ent-entfremdend auswirkt. Religion hält den Menschen nicht in dieser Welt, sondern führt ihn über sie hinaus in die „metaphysischen“ Dimensionen der menschlichen Existenz. Wie löst Berger diesen Widerspruch zwischen „Ekstase“ und Verhinderung von „Ekstase“. Auch hier kann man wieder auf Bergers frühe Unterscheidung zwischen Religion und Glaube hinweisen. Ferner betrachten Berger Religion als in sich ambivalent hinsichtlich Welterhaltung, bzw. -erschütterung. Das habe ich ja bereits gesagt. Eine Lösung des Widerspruches liegt schliesslich in Bergers Modell der Religion als Erfahrung und als Tradition. Auch darauf habe ich bereits hingewiesen.

3.4. Hat Berger einen klaren Religionsbegriff?

Zusammenfassend kann man sagen, dass Berger nicht einen, sondern mehrere Religionsbegriffe hat. Ich habe zwischen zwei unterschieden, einem persönlichen und einem soziologischen. Was seinen persönlichen Begriff angeht, kann man Berger, wie ich glaube, klare Vorstellungen attestieren, soweit es in diesem Bereich Klarheit überhaupt geben kann. Bei Bergers soziologischem Religionsverständnis liegen die Dinge etwas anders. Die spezifisch Bergersche Kategorie des „Heiligen“ bleibt hier verschwommen. Im Grunde genommen ist sie für ein soziologisches Verständnis von Religion auch gar nicht nötig. Ich würde mich in diesem Punkt Luckmann anschliessen und Religion in einem soziologisch-systematischen Sinn als „Symbolsinnwelt“ begreifen ohne dabei das „Heilige“ als konstitutiv zu betrachten. Der „heilige Kosmos“ ist eine bestimmte historische Konkretion einer symbolischen Sinnwelt. Aber was Berger bei seiner Analyse des Säkularisierungsprozesses sagt, trifft im Grunde genommen überall zu, wo eine umfassende Weltanschauung sich infolge des Zerfalls ihrer Plausibilitätsstrukturen auflöst. „Säkularisierung“ gibt es in diesem Sinne auch ohne Transzendenz.

Berger hat in „Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft“ begründet, weswegen er den Begriff des „Heiligen“ mit in seine Religionsdefinition einbezieht. Seine Gründe leuchten durchaus ein. Ich hege aber den leisen Verdacht, Berger halte auch als Soziologe am Transzendenzbegriff fest, weil dieser Begriff ihm als gläubigem Christen besonders lieb ist. Indem Berger seine persönlichen Vorlieben in die Soziologie hineinträgt, verstösst er selbst am Ende aber gegen sein eigenes Ideal wissenschaftlicher „Wertfreiheit“.

Schluss

Ich muss zum Schluss kommen, weil mir die Zeit im Nacken sitzt. Bereits das Fazit hätte eine ausführlichere Erörterung verdient. Gar nicht mehr in Angriff nehmen aber kann ich interessante und wichtige Fragen wie etwa: Hat Berger mit seiner „induktiven“ Methode wirklich das Ei des Kolumbus gefunden? Vermögen seine „Argumente“ für den Glauben an Transzendenz zu überzeugen? Wie steht es genau mit dem Begriff der „Erfahrung“ – und wie steht Berger selbst zu „religiöser Erfahrung“? Ist er dem transzendenten Gott begegnet oder „glaubt“ er an ihn, vielleicht doch aufgrund eines „Glaubenssprunges“? Welche Beziehungen bestehen zwischen Bergers Gesellschaftsverständnis , seiner konservativen politischen Haltung und seinen religiösen Überzeugungen? Berger selbst spricht hier von einer komplizierten Wechselbeziehung: „In meinem Fall handelt es sich um ein ziemlich kompliziertes Wechselverhältnis zwischen einem christlichen Menschenbild, einem unvermeidlich konservativen Geschichtsverständnis und der radikal entzaubernden Sicht der soziologischen Theorie“458Welt der Armen, 295 Schliesslich müsste man auch der Frage nach Bergers Sicht des Verhältnisses von „Ekstase“ und „Nomos“ weiter nachgehen, etc. usw. Vieles, lässt sich zusammenfassend feststellen, bleibt bei Berger bei genauerem Hinsehen ungeklärt. Seine virtuose Art der Darstellung täuscht darüber gelegentlich hinweg. – Und trotzdem: Ich finde Berger einen der anregendsten Autoren, dem ich begegnet bin.

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